hirnblutung. Die dritte. Die Zusammenfassung. Thema: Sollen wir unser Hirn dopen?

Ich versuche mal die ziemlich lang geratene Diskussion mit all ihren Schlaufen und Wirrungen wiederzugeben. Zur Auswahl standen folgende Fragestellungen: die Frage nach dem Begriff der Selbstverwirklichung und inwiefern er auch eine positive Bedeutung beinhalten kann, die über die verbreiteten Klischees vom Aquarellmalen hinaus geht. Dann die Frage, ob die Einnahme von Neuro Enhancern (Medikamenten zur Steigerung von geistigen Leistungen) empfehlenswert ist oder nicht. Ausserdem wurde die Frage danach aufgeworfen, inwiefern wir für unser Handeln zur Verantwortung gezogen werden können bzw. worin eigentlich unsere Freiheit besteht angesichts all der äusserlichen Faktoren, die unsere individuelle Existenz bedingen und bestimmen. Zudem wurde gefragt, wie eine bestehende Gesellschaft mit einer zugewanderten Minderheit umgehen respektive diese integrieren kann oder soll. Die Abstimmung lief nach mehreren Auszählungen auf die Frage hinaus, ob wir unser Hirn mit Neuro Enhancern dopen sollen.
Damit für alle Anwesenden einigermassen klar war, worum es ging, erläuterte ich nochmals die aktuelle Situation und die zukünftigen Perspektiven des Neuro Enhancement: Es handelt sich dabei um Medikamente, die eine Leistungssteigerung von geistigen Aktivitäten ermöglichen. Obwohl sie ihre Herkunft in der Behandlung von Krankheiten haben, zielt die Idee des Enhancements auf die Leistungssteigerung bei gesunden Menschen ab. Aktuelle Forschungstrends scheinen dahin zu gehen, dass diese Pharmazeutika demnächst so weit sein könnten, dass die gewichtigsten Nachteile und Einwände hinfällig wären, insbesondere unangenehme Nebenwirkungen und Suchtrisiken. Gerade die Aussicht auf den sich durch einen problemlosen Gebrauch eröffnenden Markt könnte die Pharmakonzerne dazu veranlassen ihre Forschungsbemühungen in diese Richtungen weiter zu verstärken. Damit stünde man vor der Wahl, diese Mittel mehr oder weniger schadlos gebrauchen zu können, oder eben nicht. Da Leistungssteigerung generell für wünschenswert gehalten wird, stellt sich die Frage, ob überhaupt, und wenn ja, was denn noch gegen die Einnahme von Neuro Enhancern sprechen könnte. Im Laufe der Diskussion stellte sich heraus, dass die meisten relevanten Fragestellungen nicht grundsätzlich neu sind, sondern häufig schon in anderen Kontexten erörtert wurden.

Die Diskussion kreiste in mehr oder weniger losen Schleifen um die beiden vordergründig entgegen gesetzten Fragen: 1. Angenommen, die negativen Aspekte fallen tatsächlich so gering aus, dass sie zu vernachlässigen sind, was hält mich noch davon ab, solche Präparate einzunehmen? Hier wurde also danach gefragt, was eigentlich gegen die Einnahme von Neuro Enhancern spricht. 2. Die entgegen gesetzte Frage lautete: Warum sollte ich überhaupt solche Präparate einnehmen wollen? Bei dieser Frage liegt die Betonung auf den Gründen, die die Einnahme überhaupt erst veranlassen könnten. Sie stellt somit die postulierte Selbstverständlichkeit in Frage, dass wir Leistungssteigerungen per se als etwas Wünschbares betrachten. Beide Fragen waren aber auch rhetorisch formuliert und liefen in der Diskussion daher letztlich auf dasselbe hinaus, also sowohl Pro- und Contra-Argumente respektive Vor- und Nachteile dieser Mittel zu erörtern.
Ein erster Diskussionsstrang entsponn sich entlang der etwas spekulativen Frage, ob das Fehlen von Nebenwirkungen und Abhängigkeitsrisiken tatsächlich eine realistische Perspektive ist. Im Hinblick auf die Suchtrisiken wurde bezweifelt, dass diese vermieden werden könnten. Selbst wenn die Industrie die Gefahr physischer Abhängigkeiten ausräumen könnte, würde sich immer noch die Frage nach der psychischen Abhängigkeit stellen. In Ermangelung einer Definition von psychischer Abhängigkeit blieb für uns unklar, ob beispielsweise auch die durch sozialen Druck oder berufliche Motive verursachte Unfähigkeit, ein solches Medikament nicht mehr zu nehmen, als Sucht zu betrachten sei.
Genauso schwierig erschien uns die Beurteilung des Umstandes, dass die Neuro Enhancer der neusten Generation keine negativen Nebenwirkungen aufweisen sollen. Um diese Frage besser abschätzen zu können, versuchten wir konkrete Beispiele anzuführen, bei denen das der Fall sein könnte, oder eben nicht. Unter anderem wurde auf noch provisorische Ergebnisse in der Alzheimerforschung hingewiesen, die entsprechende Hoffnungen zumindest teilweise zu bestätigen scheinen. Was jedoch die aktuell diskutierten oder noch in Entwicklung befindlichen Präparate angeht, so herrschte weitgehende Ahnungslosigkeit unsererseits, weshalb wir nach vergleichbaren Beispielen Ausschau hielten. Hierzu mussten wir uns zunächst einmal Klarheit über die genaue Wirkungsweise von Neuro Enhancern verschaffen. Welcher Art sind die zu erwartenden Leistungssteigerungen? Daraufhin wurden genannt: erhöhte Konzentration, Aufmerksamkeit, Wachheit, Erinnerungsvermögen. Damit fiel es uns leichter, vergleichbare Mittel auszumachen. So wurde ziemlich bald Kaffee respektive Koffein genannt. Kaffee scheint als schon relativ lange gebräuchliches Aufputschmittel den empirischen Nachweis für das gesellschaftliche Durchsetzungspotenzial von Neuro Enhancement zu liefern. Zudem schien der Konsens dahin zu gehen, dass bei Kaffee noch nicht von schwer wiegendem Suchtrisiko geschweige denn negativen Schädigungen gesprochen werden kann. Dass die konstante und verhältnismässige Einnahme von leistungssteigernden Substanzen sogar ohne jegliche Erschöpfungs- oder Abnutzungserscheinung denkbar ist, macht das Beispiel der Vitaminpräparate deutlich.
Im Hinblick auf die Nebenwirkungen wurde kritisch gefragt, ob es überhaupt spezifisch negativer Nebenwirkungen brauche, um überhaupt von negativen Wirkungen sprechen zu können. Oder ob das Negative nicht gerade in der (positiven) Wirkung als solcher liegen könne,
insofern als sie die Authentizität des individuellen Erlebens verändere und damit den Selbstzugang der betroffenen Personen verzerre oder sogar beeinträchtige. Zur Veranschaulichung wurde die Wirkung von gewissen Antidepressiva genannt, deren positiver Effekt in einer Dämpfung der negativen Gefühle und Stimmungen bestehe, einer Dämpfung, die jedoch, da sie sich offensichtlich auf jegliches Gefühlsleben auswirkt, selbst wieder als eine unwillkommene Persönlichkeitsveränderung wahrgenommen wird. Daran anschliessend wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern sich denn die Hauptwirkung von Nebenwirkungen unterscheiden lässt, und ob einfach der negative Aspekt derselben Wirkung schon eine eigene Wirkung ist.
Gegen die Auffassung, dass Selbstentfremdung im geistigen und emotionalen Erleben per se ein Problem darstellt, wurden jedoch verschiedene Argumente angeführt. Zum einen scheinen wir diese veränderten Bewusstseinszustände ja relativ häufig auch willentlich selber zu suchen, z.B. indem wir Drogen einnehmen. Noch grundsätzlicher zielte der Einwand, der den Anspruch auf ein konstantes Sich-Selber-Bleiben hinterfragte. So wurde darauf hingewiesen, dass Selbstentfremdung – verstanden als Veränderung des bisherigen Selbst – zum Alltag gehört, z.B. auch wenn man sich persönlichen Begegnungen mit anderen aussetzt. Damit wurde die Perspektive dahin gehend eröffnet, dass die Veränderung des Selbst auch positiv wahrgenommen und wünschbar sein kann. Hieran anschliessend liesse sich weiter fragen, ob diese Veränderung nicht auch gerade zu einem „eigentlicheren“ oder „besseren“ Selbst (im Sinne eines Selbstideals) führen könnte. Könnte man etwa gerade durch diese Mittel erst zu sich selbst kommen? Und was für ein Selbst und was für eine Authentizität werden überhaupt vorausgesetzt, von denen man befürchtet, dass sie durch bewusstseinsverändernde Substanzen gestört werden könnten? Letztlich scheint die Vorstellung eines authentischen Selbst somit auch normative Setzungen zu implizieren, die selber ebenso fraglich sind, wie jene der erhöhten Leistungsfähigkeit, die uns die Pharmaindustrie verkaufen möchte. Es bietet sich daher an, die Medikamente weniger als mich mir entfremdende äusserliche Einwirkungen wahrzunehmen als vielmehr als Hilfsmittel, die mir dabei dienlich sein können, meine selbst definierten Ziele zu erreichen.

Die Kritik an der Einnahme der Neuro Enhancers wurde daher dahin gehend modifiziert, dass das Problem der Selbstentfremdung in der langfristigen und schleichenden Persönlichkeitsdeformation liegt. Diese Deformationen liefen auf eine als negativ zu betrachtende Lebenshaltung hinaus, deren Quintessenz im Leistungsdenken liege. Damit wurde auch der gesellschaftliche Kontext ins Spiel gebracht, vor dem sich die heutige Diskussion bewegt. Denn die modifizierte Kritik am Gebrauch von Neuro Enhancern zielt implizit auf eine Gesellschaftskritik ab, da sie davon ausgeht, dass Neuro Enhancer vor allem gewissen Trends Vorschub leisten werden, die ohnehin schon bestehen. Also dem Bestreben, mit möglichst wenig Ressourcen möglichst effizient zu sein und möglichst viel zu erreichen. Da diese Einstellung als problematisch betrachtet wird und da die Neuro Enhancers entsprechende Bestrebungen beschleunigen werden, wird ihr Sinn und Zweck in Frage gestellt.
Die Debatte drehte sich in der Folge relativ lange um das Leistungsdenken, da es dafür verantwortlich gilt, dass uns diese Pharmazeutika so attraktiv erscheinen. Wir fragen uns, woher unsere Leistungsorientierung stammt. Eine Hypothese rekurriert auf die Webersche Theorie zur Entstehung des Kapitalismus, die in etwa behauptet, dass die reformierten und insbesondere die calvinistischen Länder den Glauben propagierten, dass irdischer Erfolg als Gotteslohn zu betrachten ist, weshalb sich Leistung im Diesseits auch als Fahrschein in den Himmel bezahlt machen kann. Dagegen wurde jedoch eingewendet, dass sich die asiatischen Länder gegenwärtig ohne calvinistischen Hintergrund daran machten, unsere Gesellschaften hinsichtlich Leistungsorientierung zu übertrumpfen. Es wurde daher die Vermutung geäussert, dass Leistung eher durch Vergleich und Konkurrenz zustande kämen, also letztlich auf dem Wissen um soziale Aufstiegsmöglichkeiten und um die Begrenztheit dieser Aufstiegsmöglichkeiten basiert.
Wir bemühten uns daraufhin, den Leistungsbegriff präziser zu fassen und gegen andere, positiv gesetzte Begriffe abzugrenzen. Vielleicht liesse sich anhand dieser qualitativen Differenzierungen alternative Lebenseinstellungen andenken. Zunächst versuchten wir im Hinblick auf die Handlungsmotivation zu unterscheiden, indem auf die Opposition von Haben versus Sein rekurriert wurde. Damit war gemeint, dass ein rein ziel- und anhäufungsorientiertes Handeln (≈ Haben-Einstellung) zwingend auf den Leistungsgedanken hinaus läuft. Daraufhin wurde versucht, das Leisten begriffsanalytisch als Streben nach mehr zu übersetzen. Und es wurde danach gefragt, worin sein Wert liegen könnte. Dies zog die Frage nach sich, ob es sich bei der Leistungsorientierung um eine anthropologische Konstante handelt, die ihr Fundament in der Biologie respektive in der evolutionären Auslese hat.
Eine andere Interpretation des Leistungsdenkens versucht dessen Spezifik (und damit auch Fehler) darin zu fassen, dass es die Leistung zum Selbstzweck erhebt und das eigentliche Ziel aus den Augen verliert.
Gegen Abwertung des Strebens nach anzuhäufenden Zielen wurde die Frage aufgebracht, ob nicht auch solche Fälle, die dem Leistungsdenken völlig entgegen gesetzt scheinen wie beispielsweise der buddhistische Mönch, der nach dem Nirwana strebt, letzlich in ihrem Handeln durch ein Ziel motiviert sind, dass sie durch maximale Leistung zu erreichen versuchen. Oder folgt das buddhistische Streben – exemplarisch für die Seins-Haltung – als nichtstrebendes Streben einer mystischen Logik, die durch den Widerspruch ans Ziel führt? Doch selbst wenn dem so wäre, könnte man dem Mönch nicht auch mit Medis nachhelfen? Aber vielleicht könnte man dem leistungsorientierten Handeln immer noch so etwas wie eine zwar richtungsorientierte, aber zugleich auf den augenblicklichen Moment konzentrierte Bewegung gegenüberstellen.

Auf die Frage hin, worin denn genau das Problem der solchen Leistungsorientierung und worin der Mehrwert ihres Gegenmodells läge, skizzierte der Wortführer der kritischen Einstellung mindestens zwei miteinander zusammen hängende Argumentationsstränge. Zum einen argumentierte er sozusagen mit einer Ethik des Ehrlich-Verdienens, indem er die Frage in den Raum stellte, ob denn der Wert von Erkenntnisleistungen nicht auch in der Anstrengung liege, die es zur Überwindung ihrer Hindernisse braucht, respektive ob ihr Wert nicht gerade durch diese Anstrenung zustande käme. Die Behauptung, dass ein schwierig zustande gekommener Gedanke eine grössere Befriedigung bietet als ein leicht begriffener, wurde jedoch von verschiedener Seite bestritten. Zum einen, weil die Schwierigkeiten beispielsweise bei anspruchsvoller Lektüre häufig auch zu Frustrationen führen können, zum anderen aber auch, weil die „Lust“ des Begreifens eines Gedankens wohl primär aus der Qualität des Gedankens entspringt. Daher könnten Neuro Enhancer möglicherweise sogar viel befriedigendere intellektuelle Beschäftigung ermöglichen, da sie mehr Erkenntnisleistungen mit weniger Aufwand verheissen. Dagegen wurde erwidert, dass genau in dieser Haltung das Problem liege. Mittels der Gegenüberstellung von Haben versus Sein wurde erneut versucht, den Fehler in der Leistungshaltung deutlich zu machen. Der Irrtum im Bestreben Güter anzuhäufen bestehe darin, dass deren Befriedigung nicht nachhaltig sei. Dem gegenüber sei die Befriedigung der mühsam errungenen Einsichten viel grösser, da bei ihnen der Weg zum Ziel den Wert mit ausmache. Damit verschob sich die kritische Argumentationslinie zur zweiten Strategie, die sich vielleicht als eine Ethik des Seins bzw. der Präsenz fassen lässt. Also das augenblickliche Tun (die intellektuelle Anstrengung) wird als höher bewertet als das, was man letztlich erreicht (die Einsicht in einen Gedanken). Wenn der Weg selbst zum Ziel wird, dann wird es natürlich auch relevant, wie – mit welchen Mitteln, auf welchen Abkürzungen etc. – ich ans Ziel gelange. D.h. dann stellt sich wieder die Sportlerfrage nach der Ethik des Ehrlich-Verdienens.
Zunächst musste jedoch erst einmal Einigkeit darüber bestehen, ob der Weg überhaupt das Ziel ist.
Die Hauptargumente für diese von den meisten zumindest teilweise nachvollziehbare Haltung lauteten, dass die empfundene Befriedigung über überwundene Hindernisse grösser ist, als wenn man sich dabei pharmazeutischer Hilfsmittel bedient, sowie dass die Schwierigkeit der Bemühung auch intellektuell anregend sein kann und dass ja bisweilen auch gerade das Missverstehen produktiv sein könne. Zudem sei wohl der Lerneffekt nachhaltiger, wenn man sich länger anstrengen und sich wiederholt mit etwas auseinandersetzen muss. Gegen diese Argumente wurden jedoch verschiedene Einwände vorgebracht, die ihre Stossrichtung aus eher nüchtern pragmatischen Standpunkten bezogen. Zunächst wurde danach gefragt, was für Rahmenbedingungen hier vorausgesetzt wurden. Offensichtlich schienen die meisten von dem eingangs genannten Beispiel des genussvolleren, weil leichteren Studiums interessanter anspruchsvoller Texte auszugehen. Dies dürfte jedoch in den wenigsten Fällen die reale Praxis sein, wo es um die Frage gehen wird, ob Neuro Enhancement oder nicht. In den meisten beruflichen Situationen, die sich denken lassen, wird es nur am Rande um den intellektuellen Prozess als solchen gehen, vielmehr werden die zu erbringenden Ergebnisse im Vordergrund stehen. Das heisst, dass das Denken in den meisten Berufssituationen einen praktischen Zweck erfüllen muss und nicht seinen Zweck in sich selbst findet. Ausserdem lassen sich etliche Kontexte denken, wo die intellektuellen Erfordernisse bzw. Leistungen mit einem hohem Mass an Verantwortung verknüpft sind. In diesen Fällen geht es unter Umständen sogar um eine moralische Verpflichtung zur Einnahme solcher Medikamente, wenn sich dadurch Risiken für anderen verringern lassen. Hierauf kann jedoch erwidert werden, dass es sinnvoller wäre, die entsprechenden Berufsprofile dahingehend zu korrigieren, dass sie weniger Verantwortung mit sich brächten. Trotzdem ist es offenkundig, dass für all diese Fälle, wo geistige Leistung in einem pragmatischen Kontext erbracht werden muss, mehr oder bessere Leistung wünschbar ist. Unter diesen Bedingungen stellen sich dann jedoch andere Fragen wie jene nach den sozialen Implikationen des Neuro Enhancements. Wenn sich dessen Gebrauch in gewissen Kreisen etabliert, wirft das natürlich die Fragen nach „den erwartbaren Spiralen kontinuierlicher Standardverschiebungen und eines wachsenden Wettbewerbs zwischen den einzelnen durch den kollektiven Gebrauch von Enhancement-Mitteln“ auf (http://idw-online.de/pages/de/news128385). Vergleiche mit ähnlichen Kontexten, z.B. dem Radsport, legen diese Rückkoppelungseffekte nahe. Wenn die Einnahme zur Normalität wird, fällt es immer schwerer nicht mitzuziehen. Wo derlei Entwicklungen auftreten, bleibt nur die Wahl zwischen Mitmachen oder Aussteigen. Und sofern die Entwicklung ein ungesundes Ausmass annimmt, lässt sich höchstens darauf spekulieren, dass die eintretenden Verschleisserscheinungen Gegenbewegungen auslösen.
Es zeichnete sich somit ab, dass die Fragestellung sowohl im Hinblick auf gesellschaftspolitische Aspekte untersucht werden kann, als auch bloss im Hinblick auf uns selbst als selbstbestimmte Individuen bei der Verwirklichung unserer persönlichen Wünsche. Wobei jedoch gerade in der Leistungsdiskussion deutlich wird, dass sich das eine nicht einfach so vom anderen trennen lässt. Denn wer auf der Selbstverwirklichungsagenda eine Karriere in einem harten Umfeld eingetragen hat, wird auch willig die Kosten auf sich nehmen, die einem der Weg an die Spitze abverlangt.

Die Diskussion verlief im Weiteren tendenziell losgelöst vom sozialen Rahmen und kreiste eher um die Frage, was uns persönlich dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken Neuro Enhancers einzunehmen. Und für diese Auseinandersetzung schien tatsächlich vor allem das hypothetische Beispiel illustrativ zu sein, dass sich damit womöglich so schwierige Lektüre wie Heidegger oder Quantenphysik so leicht wie Kioskromane lesen liesse.
Dies rief natürlich sogleich die Frage auf den Plan, ob tatsächlich mit so starken Effekten zu rechnen sei und ob die bloss quantitative Leistungssteigerung von mentalen Kapazitäten auch schon für qualitativ besseres Verstehen ausreichen würde. Oder ob Intelligenz eben auch andere Fähigkeiten wie Kreativität, Mut oder Problemlösungsstrategien voraussetzte. Der Zweifel an der verheissenen Leistungsfähigkeit der Neuro Enhancer wurde jedoch mit dem Hinweis wieder etwas entschärft, dass es ja keine Rolle spiele, was genau für die Intelligenz verantwortlich ist, dass aber zumindest irgendeine oder mehrere mentale Fähigkeiten für die Intelligenz zuständig sein müssten und dass sich diese wohl auch irgendwie pharmazeutisch beeinflussen liessen. Wie steht es aber mit Fähigkeiten, die nur durch Lernen und Üben erworben werden können…? Ganz so einfach schien sich die Kritik an der billigen Erleuchtung auch nicht beiseite räumen zu lassen.
Erneut wurde diskutiert, inwiefern der eingeschlagene Weg für den Wert des Ziels relevant ist. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass der Gebrauch von Hilfsmitteln ja nicht notwendig der Ethik des Sich-Verdienens widerspreche, da sich ja beides kombinieren liesse, indem man sich einfach auf einem höheren Niveau anstrengen könnte. Der Vergleich zum Sport liegt hier nahe. So kann zwar für gewisse Leute ein besonderer Reiz darin bestehen, ohne sämtliche Hilfsmittel eine Bergwand zu erklimmen, dies schmälert aber nicht unbedingt die Leistung von jemandem, der mit Hilfsmitteln eine Bergwand erklimmt, die ohne diese gar nicht zu besteigen wäre. Es ist unwahrscheinlich, dass Neuro Enhancer uns je in die Lage versetzen, an keinerlei intellektuelle Grenzen mehr zu stossen, an denen wir uns abzumühen hätten. Problematisch ist in diesem Kontext der Gebrauch von Hilfsmitteln also eigentlich bloss dort, wo verschiedene Leistungen verglichen werden sollen und dabei dieselben Rahmenbedingungen vorausgesetzt werden (siehe Dopingproblematik im Hochleistungssport). Dass das reduktionistische Ethos des Ehrlich-(Das-Heisst-Ohne-Hilfsmittel-)Verdienens selbst durchaus mit dem Leistungsdenken verträglich ist, ja gerade eine besondere Variante davon sein kann, wurde nur am Rande erwähnt.
Damit hatte die Diskussion auch den Abstraktiongrad erreicht, um von den Neuro Enhancern auf andere Hilfsmittel zu schliessen und umgekehrt, da ja jedes Hilfsmittel in irgendeiner Weise unsere Fähigkeiten und praktischen Möglichkeiten „enhancet“. Das heisst, wir befanden uns auf anthropologischem Niveau und bei der Bestimmung des Menschen als Prothesengott. Als vergleichbare Beispiele von leistungssteigernden Hilfsmittteln wurden die Neuen Medien genannt, aber auch Fortbewegungsmittel wie beispielsweise das Fahrrad. Und da wir schon mal dabei waren, wurden auch gleich noch das soziale Milieu (Elternhaus), Bildung (Universitäten, schon bestehende Texte etc.) als förderlich erwähnt. Damit liess es sich aber kaum mehr ausmachen, welche Vorbehalte eigentlich noch bestehen bleiben. Vielmehr verwiesen diese Analogien den Standpunkt der Enthaltsamkeit zusätzlich in die Defensive und wiesen ihn als einen (romantischen?) Luxus des temporären Aussteigen-Könnens von jemandem aus, der die Wahl hat, dem gegenüber viele Menschen nur den Zustand des Ausgeschlossenseins kennen. Womöglich ist der Impuls zur Reduktion aufs Wesentliche und zum Aussteigen sogar auch als Eskapismus zu verstehen, also als Bestreben, dem ständigen Leistungsanspruch (zumindest) zeitweise zu entkommen. Halt so lange, bis man sich ihm wieder aussetzen kann. Dies wiederum würde den Verdacht auf ihn ziehen, dass es sich dabei bloss um eine funktionale Reaktionsweise innerhalb des Leistungssystems handelt.
Andererseits würde die Gleichsetzung von Neuro Enhancern mit anderen technischen Errungenschaften auch implizieren, dass damit dieselben Fragestellungen wie beim Zugang zum Internet oder bei der Beherrschung von Technologien impliziert sind. Also vor allem moralische und soziale Fragestellungen, auf die wir aber nicht weiter eingehen wollten.
Da die Diskussion allmählich Redundanzen aufwies (und ich Ermüdungserscheinungen), beschlossen wir sie zu beenden. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass sich keine pauschale Antwort auf die Eingangsfrage geben lässt. Es spricht einiges dafür, dass sich Neuro Enhancer aufgrund ihrer Vorteile relativ bald auf breiter Front etablieren werden, sollten sie die versprochenen Wirkungen an den Tag legen. Letztendlich wird aber die Entscheidung über ihren Gebrauch in den meisten Fällen wohl vom spezifischen situativen Kontext und den jeweils angewandten Kriterien abhängen.
Es bleibt zudem festzuhalten, dass, selbst wenn das Leistungsdenken und der dadurch implizierte Druck zur Leistungssteigerung eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz bilden, jeder Mensch auch die Möglichkeit hat, sich gegenüber diesem Leistungsdenken zu positionieren und ausgehend von dieser Einstellung relativ frei über die Einnahme von Neuro Enhancern entscheiden kann.

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Ein Kommentar

  1. Ich denke, jede synthetisch Bewußtseins -erweiternde Droge die gegen das natürliche spricht, sollte man bleiben laßen. Irgendwann tritt der Kontrollverlust ein mit fatalen Folgen für das Gesundheitswesen. Link 3 Sat Doku: Reinziehen was geht – die gedopte Gesellschaft. Eigene Selbsterfahrung mit der legalen Droge Nr. 1 dem Alkohol, bin seit 11 Trocken. MfG kmh

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