Liebe MitdenkerInnen
Schon kommenden Montag gibts wieder die Gelegenheit zur gemeinsamen philosophischen Debatte. Wie immer um acht im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse 1. Ihr habt wieder die Möglichkeit unter folgender Adresse vorgängig Themenvorschläge zu platzieren:
http://hirnblut.elenchos.ch/?p=128
Beim letzten Mal ging ja die Diskussion nach Abschluss der offiziellen Debatte erst so richtig los. Vielleicht mag sich ja noch jemand daran erinnern, welche Themen da plötzlich alle noch dringendst erörtert werden mussten. Ich habe selber schon zwei Vorschläge meinerseits eingebracht, für den Fall, dass sich wieder niemand traut.
Ansonsten bitte ich euch wie immer, die fünf Stutz und eigene Verpflegung mitzubringen, da die Bar zu sein wird.
Ich freu mich auf euer Erscheinen.
Liebe Grüsse – imre
PS: Am Donnerstag, 13. März, geht übrigens das nächste Philosophiemassaker über die Bühne…
5 Kommentare
Vorschlag 1: Wie „sind“ Werte?
Die Existenz von Werten hat etwas Rätselhaft-Paradoxes. Auf der einen Seite scheint es Werte zu geben, auf der anderen Seite scheinen sie völlig relativ von den Subjekten zu sein, die sie pflegen. Inwiefern kann man davon sprechen, dass es Werte gibt, dass Werte „sind“, wenn sie zugleich in so hohem Mass an Subjekte geknüpft sind, die sie als Werte betrachten und ja auch selber setzen können? Die Frage nach dem Sein von etwas ist eine ontologische Frage, daher lässt sich meine Frage auch als Frage nach der Ontologie von Werten betrachten.
Vorschlag 2: Wie lebt es sich in der entzauberten Welt?
Von Max Weber scheint die Formulierung von der „Entzauberung der Welt“ zu stammen. Damit ist ein (historischer wie auch individueller) Prozess der zunehmenden Rationalisierung gemeint, der unsere magischen Ansichten von Verhältnissen in der Welt allmählich auflöst. Weber meint in Der ‚Sinn‘ der Wissenschaft als Beruf, „dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.“ (Quelle: http://www.textlog.de/2321.html) Diese Entzauberung ergreift sämtliche Lebensbereiche unseres Daseins, bis hin zu unseren intimsten Beziehungen, die wir nach Kosten-Nutzen-Kalkülen beurteilen, sobald sie aus dem Lot geraten. Die Fragen, die sich mir nun stellen, lauten: Ist diese wissenschaftlich-rationale Ernüchterung angesichts einer verstummenden Welt eindeutig als Verlust zu sehen? Was geht uns dabei genau verloren? Sinn, Geborgenheit, Transzendenz, Wärme? Können wir überhaupt ohne die Magie leben? Wie rationalisiert bzw. entzaubert ist unsere Welt tatsächlich (hegen wir nicht alle unsere kleinen Aber- und Wunderglauben)? Und, eine Frage, die hier auch schon in anderen Zusammenhängen (z.B. der Religion) gestreift wurde: Gibt es so etwas wie legitime und illegitime magische Auffassungen und Verhaltensweisen?
Ich finde das Thema „Wie lebt es sich in der entzauberten Welt?“ sehr spannend. Und ich bin überzeugt davon, dass wir für diese Entzauberung einen Preis zahlen. Die Vorstellung einer rein rational erlebten und durchgängig berechenbaren Welt empfinde ich als ausgesprochen kalt. Mir scheint, dass eine solche Welt wesentliche menschliche Bedürfnisse nicht abdecken würde. Ich bin mir aber gar nicht sicher, wie weit unsere Welt denn wirklich entzaubert ist. Es gibt meines Erachtens doch sehr ausgeprägte Tendenzen zur Wiederverzauberung. Dafür spricht der ausgeprägte Esoterikboom. Auch viele Strömungen in Bereich der Komplementärmedizin bedienen Bedürfnisse nach Wiederverzauberung.
In breiten Kreisen wird meiner Erfahrung nach inzwischen jede auch noch so absurde Behauptung geglaubt, wenn sie nur wunderbar genug daher schwebt. Hans A. Pestalozzi’s Beschreibung der „Sanften Verblödung“ (1985) kommt zwar mit einer gehörigen Portion Polemik daher, trifft aber doch irgendwie ins Schwarze.
Wenn Du also fragst „Wie lebt es sich in einer entzauberten Welt?“, bin ich mir gar nicht sicher, ob wir in einer solchen leben. Und die sich ausbreitende Wiederverzauberung halte ich politisch für hoch problematisch. Ein magisches Weltbild scheint mir mit einer demokratischen Grundordnung unvereinbar. Wenn alle wesentlichen Entscheidungen in einer magischen Hinterwelt fallen, nimmt das dem demokratischen Diskus jede Bedeutung. Akzeptiert man grundsätzlich magische Erklärungsmodelle, lassen sich entsprechende Behauptungen kaum mehr mit Argumenten in Frage stellen. Würde sich ein solches magisches Weltbild durchsetzen, könnte das auf eine „Eso-Demokratur“ oder noch Schlimmeres hinaus laufen und in einer solchen Welt möchte ich auch nicht leben.
Jedenfalls empfinde ich diese Situation ziemlich als Dilemma, wenn weder die Entzauberung noch die Wiederverzauberung wirklich lebbar ist. Eine Herausforderung jedenfalls. Fände es daher sehr interessant, zusammen nach Alternativen zu suchen.
Martin
Ja, da sprichst du meines Erachtens tatsächlich ein paar der zentralen Knackpunkte der Fragestellung an. Daher ja auch meine abschliessende Frage nach einem allfälligen Unterscheidungskriterium für legitime und illegitimes magisches Verhalten und Denken.
Stellen ästethische Betrachtungen einen moralischen Imperativ dar?
Möchten wir Schönheit einen moralsichen Wert zusprechen, der unabhängig ist von den positiven Gefühlen die sie auslöst. Lassen sich diese beiden Dinge überhaupt trennen? Hat nicht der Drang nach Schönheit eine solche Konstanz in der bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung, dass eine ästethische Moral nicht abwegig wäre, vieleicht ehrlicher? Und inwiefern würde dies einen Konflikt mit bisherigen moralischen Vorstellungen wie zum Beispiel der Menschenwürde bedeuten? Oder wäre ein solches Unterfangen, ein Zwang zur Schönheit, einfach nur hässlich, und würde sich somit selbst verunmöglichen?