hirnblutung :: die Zwölfte :: 3. 3. 2008 :: Wie lebt es sich in der entzauberten Welt?

Von den beiden von mir im Netz platzierten Vorschlägen entschieden wir uns für den zweiten: Wie lebt es sich in der entzauberten Welt? Ich zitiere daher den Text aus dem Netz:

Von Max Weber scheint die Formulierung von der “Entzauberung der Welt” zu stammen. Damit ist ein (historischer wie auch individueller) Prozess der zunehmenden Rationalisierung gemeint, der unsere magischen Ansichten von Verhältnissen in der Welt allmählich auflöst. Weber meint in Der ‘Sinn’ der Wissenschaft als Beruf, “dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.” (Quelle: http://www.textlog.de/2321.html) Diese Entzauberung ergreift sämtliche Lebensbereiche unseres Daseins, bis hin zu unseren intimsten Beziehungen, die wir nach Kosten-Nutzen-Kalkülen beurteilen, sobald sie aus dem Lot geraten. Die Fragen, die sich mir nun stellen, lauten: Ist diese wissenschaftlich-rationale Ernüchterung angesichts einer verstummenden Welt eindeutig als Verlust zu sehen? Was geht uns dabei genau verloren? Sinn, Geborgenheit, Transzendenz, Wärme? Können wir überhaupt ohne die Magie leben? Wie rationalisiert bzw. entzaubert ist unsere Welt tatsächlich (hegen wir nicht alle unsere kleinen Aber- und Wunderglauben)? Und, eine Frage, die hier auch schon in anderen Zusammenhängen (z.B. der Religion) gestreift wurde: Gibt es so etwas wie legitime und illegitime magische Auffassungen und Verhaltensweisen?
Bevor ich den Ablauf der Diskussion wiedergebe, möchte ich eine zentrale Schwierigkeit der Auseinandersetzung festhalten, die allenfalls auch bei der Lektüre Verwirrung stiften könnte. Diese Schwierigkeit bestand darin, dass man, wenn man vom magischen Denken spricht, eigentlich immer schon eine wissenschaftliche Aussenperspektive gegenüber dem so bezeichneten Bewusstseinszustand einnimmt. Das magische Denken kommt ja nicht unbedingt auf die Idee, von sich selber als einem Untersuchungsgegenstand zu sprechen. Das heisst, man stellt eigentlich schon so etwas wie eine Hierarchie zwischen zwei verschiedenen “Bewusstseinen” her, von denen das eine (wissenschaftliche) das andere (magische) besser zu verstehen scheint als dieses sich selbst. Schwierig wird diese Konstellation dann, wenn man beide Bewusstseine als gleichberechtigte zu Wort kommen lassen will, also auch die Innenperspektive des magischen Bewusstseins ernst nehmen will. Ich behaupte, dass ein Grossteil unserer Klärungsbemühungen mit diesem diffizilen Verhältnis zu tun hatten.
So wurde das eigentliche Gespräch mit einem Beitrag eröffnet, der eben gerade diese Innenperspektive des magischen Bewusstseins wiederzugeben versuchte. Wobei es sich dabei eher um eine Beschreibung dessen handelte, was wir heutzutage als magischen Moment oder magisches Erlebnis bezeichnen. Also besondere Augenblicke, die irgendwie aus dem Alltag herausragen und eine hohe emotionale Intensität aufweisen. Da es sich dabei in der Regel um persönliche Erfahrungen handelt, sind diese Momente wohl auch sehr subjektiv. Als klassisches Beispiel für eine solche Erfahrung wurden Erlebnisse in der Natur genannt. So löst ein prächtiger Sonnenuntergang schon beinahe reflexhaft derlei Empfindungen bei uns aus.
Mit diesem Beitrag wurde jedoch gleich noch eine weiter Komplexitätsebene ins Spiel gebracht. Nämlich die Frage, inwiefern das, was wir heute als “magisch” bezeichnen noch mit dem magischen Bewusstsein (oder Denken) zu tun hat, von dem Weber spricht. Zwar unterstützt das Attribut “magisch” eine Gleichsetzung von magischem Erlebnis und magischem Denken prinzipiell. Andererseits scheint das magische Erlebnis doch auch schon beträchtliche Spuren des wissenschaftlichen Bewusstseins davon getragen zu haben. Das äussert sich schon darin, dass die meisten Leute heute nur noch von einer magischen Erfahrung sprechen, aber nicht mehr unbedingt in einem ständigen magischen Verhältnis zur Welt stehen. Diese zusätzliche Unterscheidung brachte einen Klärungbedarf mit sich, was denn genau unter einem magischen Moment oder Erlebnis einerseits und was unter magischem Denken oder Bewusstsein andererseits zu verstehen sei. Diese Klärung blieben wir teilweise bis zum Schluss schuldig.
Ein Versuch, die Spezifik des magische Denkens gegenüber dem magischen Erlebnis zu verdeutlichen, bestand in dem Hinweis, dass das magische Denken die für das moderne Denken typische Spaltung von Subjekt und Objekt noch nicht vornehme, die Welt wird noch als ein einheitlicher Zusammenhang gedacht. Insofern liesse sich das magische Bewusstsein als vorsubjektivistisch bezeichnen. Das magische Denken deckt sich mit der magischen Welt. Das magische Erlebnis hingegen werde schon durch die Brille eines Subjekts wahrgenommen. Dieses sei sich bewusst, dass der Zauber der Welt verloren gegangen ist. Daher kann es heute nur noch individuelle und subjektive Erfahrungen des Magischen geben. Dies führt aber zu einer gewissen Paradoxie, wie noch deutlicher werden wird, da die Sphäre des Magischen auf das Subjekt beschränkt wird, obschon ihr Erkenntnisanspruch eigentlich die ganze Welt umfasst. (Möglicherweise liegt das jedoch auch nur wieder an der wissenschaftlichen Interpretation dieses Erlebnisses, das sich selbst vielleicht ganz anders, eben vorsubjektivistisch erfährt.)
Dass in der Diskussion häufig auch nicht unbedingt zwischen dem magischen Denken und dem magischen Erlebnis unterschieden wurde, könnte auch damit zu tun haben, dass sich beide bis zu einem gewissen Grad im Gegensatz zum wissenschaftlich-aufgeklärten Bewusstsein befinden.
Das magische Denken, so wie Weber es einführt, geht ja von einer geheimnisvoll-verzauberten Welt aus, in der Geister vorkommen, die sich allenfalls durch Beschwörungspraktiken beeinflussen lassen. Dem gegenüber nimmt das wissenschaftliche Weltbild nur noch Naturgesetze an, die zu einer zunehmenden Berechenbar- und Kontrollierbarkeit der Welt führen. Das magische Erlebnis seinerseits weist durch seine Subjektivität und Gefühlsintensität Merkmale auf, mit denen sich die auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit abzielende Wissenschaft schwer tut. Meine individuellen Gefühle bieten für die Wissenschaft keine brauchbaren Grundlagen, da sie sich kaum messen und vergleichen lassen. Wissenschaft versucht daher, das subjektive magische Erlebnis mit allgemeinen Theorien objektiv zu erklären.
Die Wissenschaft nimmt somit gegenüber dem magischen Denken genauso wie gegenüber dem magischen Erlebnis eine Aussenperspektive ein, die diesen ihren Anspruch auf Wahrheit streitig macht und sie als illusorisch wegrationalisiert, sofern es sie nicht sogar pathologisiert. Sofern man die Standards des wissenschaftlichen Bewusstseins akzeptiert, und das taten alle Anwesenden, scheint man jedes “andere” Bewusstsein als falsch bzw. mangelhaft beurteilen und mit wissenschaftlichen Theorien erklären zu müssen. Doch gerade diese Neigung des wissenschaftlichen Bewusstseins machte es so schwierig, das angemessen zu definieren, was wir als “magisch” bezeichneten. Wie können wir das Magische bestimmen, ohne es gleich schon als “falsches” oder “krankes” Bewusstsein zu denken? Und was teilt unser umgangssprachlicher Begriff des Magischen mit dem Konzept des magischen Denkens?
Während das magische Bewusstsein somit in einem prinzipiellen Widerspruch zum wissenschaftlichen Bewusstsein zu stehen scheint, ist es offensichtlich für gewisse Leute möglich, als wissenschaftlich denkende Menschen magische Erlebnisse zu haben. Es stellt sich jedoch dann die Frage, wie so jemand mit diesen Erlebnissen umgeht und ob die wissenschaftliche Betrachtung der magischen Momente diese letztlich nicht zerstört. Unter den Anwsenden gab es eine Fraktion, die diese Problematik jedoch nicht zu kennen schien und die Verträglichkeit von wissenschaftlichem Denken und momentanem magischen Erleben behauptete. Selbst wenn sie um die hormonellen Vorgänge in ihrem Körper wüssten, die bei einem solchen Erlebnis abliefen, würde ihnen das den Zauber nicht nehmen können. Ihr zentrales Argument hierfür bestand darin, dass sie die mit dem magischen Erlebnis einhergehende Glücksempfindung für massgeblich hielten, und sie dafür auch darauf verzichten konnten, dass der Gehalt dieses Erlebnisses als wissenschaftlich “wahr” betrachtet werde. Wenn schon, dann mache es in jenem Moment quasi seine eigene Wahrheit geltend. Die Frage, die man an diese Argumentation anschliessen könnte, wäre, ob es sich bei dieser bewussten Entscheidung für das magisch Erleben somit nicht selbst schon wieder um eine zweckrationale, also äusserst “wissenschaftliche” Überlegung handelt. Böse formuliert: Erlaubt man sich zwischendurch den magischen Kick, um seine Glückskontostände zu optimieren? Wenn ja, anhand welcher Kriterien soll man entscheiden, wann man sich diese Eskapaden gestattet und wann nicht?
Mit dem Verzicht auf einen Wahrheitsbezug des magischen Erlebnisses handelt man sich jedoch ein Problem ein. Es wurde nämlich eingewendet, dass wir auch starke emotionale Betroffenheit erfahren können, ohne dass wir diese Zustände gleich als magisch betrachten müssen. Ich kann mich ja auch euphorisch fühlen, wenn ich im Lotto gewonnen habe. “Magische” Momente müssen daher eine zusätzliche Komponente aufweisen, die über die intensiven Gefühle hinaus geht. Beispielsweise, dass man den Eindruck hat, dass “irgendwelche Kräfte” am Werk sind. Sofern man aber dergleichen annimmt, verlässt man jedoch die reine Subjektivität des Gefühls und begibt sich auf das Feld der Behauptungen über die Welt (die ja bekanntlich wahr oder falsch sein können).
Wir versuchten, dieser zusätzlichen Komponente nachzugehen, indem wir uns fragten, wodurch sich das Magische an magischen Erlebnissen kennzeichne. Ein erster Bestimmungsversuch ging dahin, darin ein Moment des Unerklärlichen zu beobachten, also etwas, das sich dem wissenschaftlichen Zugang entzieht und über diesen hinaus weist. Damit rückte das Magische in die Nähe zum Religiösen. In der Religion kenne man ja auch das Phänomen, sich mit letztlich Unerklärbarem konfrontiert zu sehen, beispielsweise im Theodizeeproblem. Ein magisches Erlebnis scheint sich somit zwischen einem euphorischen Flash und religiöser Erfahrung zu bewegen. Wobei sich dann die Frage bloss verlagert, was denn genau dieses spezifisch Magische oder Religiöse ausmacht. Eine Antwort könnte lauten, dass es bei einer religiösen Erfahrung eben doch auch um eine Form von Erkenntnis geht, insofern als man dabei auch gewisse Einsichten, “Visionen” oder gar eine “Erleuchtung” haben kann.
Sofern magische Erlebnisse jedoch auch eine Weise von Erkenntnis ermöglichen, wirft dies die Frage auf, worin sie sich von der wissenschaftlichen Erkenntnis unterscheidet und mit dieser in Widerspruch gerät. Denn offensichtlich beanspruchten beide, so etwas wie Erklärungen zur Welt zu liefern. Einen ersten Anhaltspunkt liefert hier die Beobachtung, dass die Wirklichkeit oder Wahrheit der religiösen Einsicht auch in der emotionalen Intensität ihre Grundlage zu haben scheint. Dieses ist jedoch äusserst subjektiv und lässt nur schlecht vermitteln.
Eine weitere Besonderheit der magischen Erfahrung scheint darin zu bestehen, dass man dabei häufig den Eindruck hat, dass alles eine Bedeutung für einen hat. Man erlebt sich selbst in die Welt eingebettet. Ein Teilnehmer sprach davon, dass man das Gefühl bekomme, “an die richtigen Punkte” zu geraten. Diese Beschreibungen nähern sich den Geborgenheitsgefühlen, von denen religiöse Menschen berichten.
Möglicherweise lässt sich der unterschiedliche Erkenntnischarakter anhand der Gegenüberstellung von Sinnstiftung und Erklärung darstellen. So könnte man behaupten, dass die Wissenschaft sehr viele Phänomene anhand von Gesetzmässigkeiten und kausalen Verkettungen erklären kann. Dabei konzentriert sie sich auf abgegrenzte Gegenstandsbereiche (Physik, Mathematik, Biologie, Ökonomie etc.). Sie liefert aber nicht unbedingt Sinn. Der Sinnbegriff hingegen würde auf den grösseren und ganzheitlichen Zusammenhang in der Welt (Holismus) abzielen und die Frage nach letzten Zwecken dieses Ganzen (einer Teleologie) aufwerfen. Der Sinnbegriff impliziert daher ein Verhältnis gegenüber den Dingen und Ereignissen, dass diese als Zeichen versteht, die einem etwas mitteilen wollen und die man daher zu interpretieren hat.
Man könnte also behaupten, dass man in magischen Momenten eine Art von Antworten auf die Sinnfragen erfährt. Das magische Denken interpretiert die Phänomene als Zeichen mit einem tieferen Sinn. Die Welt spricht dann zu einem. Dem gegenüber wäre die Wissenschaft nüchterner, da die Welt für sie keinen Sinn zu haben braucht, sie kommt auch ohne Absichten oder Ziele in der Welt als Ganzes aus. Das beste Beispiel für eine solche sinnfreie wissenschaftliche Theorie ist wohl die Evolutionstheorie, die jeglichen Glauben an eine absichtsvolle Schöpfung mit dem Menschen als Krönung dementiert und die Artenvielfalt stattdessen als Resultat eines wenn auch sehr unwahrscheinlichen Zufalls erklärt.
Es war jedoch umstritten, ob die vorgeschlagene Differenzierung in Sinnstiftung und Erklärung haltbar ist. Am Beispiel eines Menschen mit Leberzirrhose wurden die beiden Betrachtungsweisen durchgespielt. Aus der magischen Sinnperspektive könnte man die Krankheit dann als Nachricht mit dem Sinn verstehen, dass man ein lasterhaftes Leben geführt habe und nun dafür bestraft werde. Die wissenschaftliche Erklärung, dass es sich dabei um eine kausale Folge eines ungesunden Verhaltens handle, weicht davon jedoch kaum ab. Daher könnte man wohl ebenso gut davon sprechen, dass die Wissenschaft Sinn liefere. (Dagegen liesse sich jedoch einwenden, dass die wissenschaftliche Beschreibung auf die ausserwissenschaftliche Norm Gesundheit rekurriert, ohne die ihre Erklärung keinen Sinn liefere.)
Um den qualitativen Unterschied zwischen religiös-magischer Sinnstiftung und wissenschaftlicher Erklärung auzumachen, ist es vielleicht hilfreich danach zu fragen, welchen Sinn die wissenschaftliche Weltanschauung insgesamt liefert. Hier scheint eine Lücke zu klaffen, da die Einzelwissenschaften keinen oder nur sehr begrenzten Sinn liefern und da es keine übergeordnete Wissenschaft gibt, die die Welt als Ganzes zu erklären beansprucht. Wenn, dann würde diese Aufgabe wohl in die Zuständigkeit der Philosophie (als Kosmologie) fallen. Der religiös-magisch erfahrene Sinngehalt könnte jedoch genau die Beantwortung nach dem Sinn des Ganzen mit sich führen.
Damit gelangten wir zu einer weiteren Beobachtung, die im Zusammenhang mit religiös-magischen Einsichten erwähnt wurde. Solche Erlebnisse scheinen mit metaphysischen Überzeugungen einher zu gehen, also mit Auffassungen über die elementaren der Welt zugrunde liegenden Strukturen. Diese metaphysischen Überzeugungen gehören nicht in den Forschungsbereich der Wissenschaften, sondern stellen höchstens die Voraussetzungen für sie dar. Metaphysische Erörterungen finden tendenziell eher in der Philosophie statt. Sofern metaphysichen Aussagen auch Vorstellungen über die letzten Zwecke der Welt enthalten, wären sie zugleich die sinnstiftenden Fundamente unserer Weltanschauung.
Eine Wissenschaft, die jedoch auf solche letzten metaphysischen Zwecke verzichtet, kann in der Welt keinen Sinn ausfindig machen. Die Naturwissenschaften verzichten in ihren Theorien auf jegliche Zweckvorstellungen und verhindern so die Perspektive, in der Natur einen Sinn zu erkennen. Für ein wissenschafltiches Weltbild bleibt als Quelle von Sinn somit nur noch der Mensch übrig. Es wären also die einzelnen Individuen, die sich ihre eigenen Zwecke setzen können und müssen. Diese Auffassung entspricht auch in etwa derjenigen der französischen Existenzialisten, die sich mit der Absurdität ihres Daseins in einer zweckfreien Welt abzufinden versuchten und dieser den individuellen Selbstentwurf entgegen setzten.
Sofern man dem magischen Erlebnis also so etwas wie eine metaphysische Einsicht zugestehen würde, träte es wohl eher in Konkurrenz zur Philosophie als zur Wissenschaft. Dann stellt sich aber erneut die Frage, weshalb das magische Denken und Erleben falsch oder mangelhaft und nicht bloss einfach anders sein soll.
Hier könnte ein Stichwort weiter führen, dass zur Beschreibung von magischen Erlebnissen schon erwähnt wurde. Es war schon die Rede davon, dass magische Augenblicke auch etwas Geheimnisvoll-Unerklärliches an sich haben. Wenn man von einer Auffassung behauptet, dass sie nicht weiter erklärbar ist, kann das jedoch unterschiedliche Dinge heissen. Die eine Möglichkeit wäre, dass man es mit einem Wunder zu tun hätte. In der Diskussion wurde das Beispiel des wieder gehen könnenden Tetraplegikers genannt. So etwas ist für die Wissenschaft unerklärbar, daher könnte man in einem solchen Fall von Magie sprechen. Das ist jedoch nicht unbedingt nötig, wie wir schon bei einer früheren Diskussion festgestellt haben. Denn es kann sich dabei auch schlicht um ein Ereignis handeln, das sich mit dem bisherigen Kenntnisstand er Wissenschaft nicht angemessen erklären lässt, das sich aber nicht prinzipiell der wissenschaftlichen Erkenntnis entziehen muss. Insofern könnte man meinen, dass ein magischer Glaube nur einfach ein irrtümlicher Glaube ist, den man noch nicht widerlegt hat. Das liefe jedoch darauf, dass magische Erkenntnis sich von wissenschaftlicher allein dadurch unterscheide, dass sie als falsch erkannt wurde. Was wenig Sinn macht, da wir nicht von jeder widerlegten wissenschaftlichen Theorie behaupten würden, dass es sich dabei um magisches Denken handelt.
Wenn ich beispielsweise daran glaube, dass es Unglück bringt, wenn ich unter einer Leiter hindurch gehe, scheine ich eine geheime innere Verknüpfung zwischen dieser Handlung und meinem weiteren Schicksal vorzunehmen, die über die rein wissenschaftlich feststellbaren kausalen Verknüpfungen hinaus geht. In einer solchen Annahme scheint aber das Unerklärliche weniger darin zu liegen, dass die Wissenschaft die nötigen Erklärungen noch nicht hat, sondern dass sie metaphysische Behauptungen beinhaltet, die sich der Wissenschaft grundsätzlich entziehen, da sie sich niemals wissenschaftlich prüfen und widerlegen liessen. Der philosophische Vorbehalt gegenüber einer solchen Annahme liegt dann darin, dass wir keinerlei Veranlassung haben, an etwas zu glauben, für das sich weder Beweise zur Stützung oder zur Widerlegung vorbringen lassen. Oder anders formuliert: Wir können keine Erfahrungen von Sachverhalten machen, die jenseits der Erfahrbarkeit liegen. Wenn beispielsweise jemand behauptet, dass sie gesehen habe, dass sie eine unsterbliche Seelen habe, so lässt sich dazu mit den Mitteln der Wissenschaft nicht viel herausfinden oder streiten. Eine zentrale philosophische Frage ist es daher, zu entscheiden, welche Behauptungen sich jenseits von wissenschaftlicher Prüfbarkeit befinden, um dann zu entscheiden, welche davon verzichtbar sind und welche wir trotzdem brauchen. (Eine andere Frage ist es, den erkenntnistheoretischen Status von magischen Erlebnissen zu bestimmen, also beispielsweise den Spielraum für Erfahrungen auszuloten, die nur unserem normalen Bewusstsein unzugänglich sind, aber nicht prinzipiell unzugänglich sein müssen.)
Im Vergleich von magischem und wissenschaftlichem Wissen wurde erneut der Frage nachgegangen, inwiefern magische Erkenntnis rein subjektiv und individuell bleiben muss, während die Wissenschaft sich immer um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit bemüht (weshalb ja Versuchsanordnungen immer so konzipiert sein sollen, dass man sie beliebig oft wiederholen kann). Eine magische Einsicht scheint ja etwas sehr Privates zu sein, weshalb sie strengen wissenschaftlichen Standards nicht genügen kann (ob ihr deswegen jeglicher Erkenntniswert abgesprochen werden kann, ist fraglich). Diesbezüglich wurde jedoch festgehalten, dass magische Erfahrungen zumindest in früheren Epochen auch kollektiv erlebt werden konnten und dass magische Überzeugungen problemlos auch von Gemeinschaften geteilt werden können. Zwar würden viele magische Überzeugungen nur mittelbar über Geschichten überliefert, aber deren Glaubwürdigkeit müsse der Vermittlungsweise von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht unbedingt nachstehen.
Die Auseinandersetzung um den problematischen Erkenntnisanspruch von magischen Erlebnissen warf erneut die Frage auf, inwiefern es denn vertretbar sei, magische Erlebnisse zu haben und zugleich ein wissenschaftliches Weltbild zu teilen. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass magische Erlebnisse rein subjektiv und privat sind, so fällt es schwer, diesen Erlebnissen einen Erkenntnisgehalt abzusprechen, der sich auf die Welt erstreckt. Oder umgekehrt gefragt, inwiefern lässt sich ein Erlebnis als magisch bezeichnen, wenn man dabei nicht auch glaubt, dass äussere Kräfte und Mächte mit im Spiel sind?
Dieses Problem wurde dadurch zugespitzt, dass einige TeilnehmerInnen die Position vertraten, dass es möglich sei, sozusagen nach Gutdünken magische Erlebnisse zu haben. Dass man also selber wählen könne, wann man aus dem wissenschaftlichen Bewusstsein heraus treten und sich magischen Erfahrungszuständen öffnen wolle. Die magische Erlebnisweise würde dadurch auf bestimmte Zeitabschnitte beschränkt, da sie offensichtlich nicht als kontinuierliche Einstellung lebbar ist. So sei es während der Arbeit nicht angebracht, magisch zu erleben. Durch diese Rückbindung des magischen Erlebens an den bewussten Willen des Subjekts scheint sich jedoch die Frage aufzudrängen, ob es sich dabei eben nicht bloss um eine selbstinduzierte Illusion mit dem Ziel des Glücksgefühls handelt (ein Verdacht, den man wohl problemlos Nietzsche zuschanzen könnte). Der mit dem Erlebnis einhergehende Wahrheitsanspruch scheint dadurch massiv eingeschränkt zu werden. Es wurde daher auch die Frage laut, inwiefern man statt des magischen Erlebnisses nicht einfach eine Glücksdroge einnehmen könne. Da das Hauptargument zugunsten der selektiven magischen Erlebnisse in dem intensiven Euphoriegefühl zu liegen scheint, und die damit einhergehenden Einsichten nur den Status subjektiver Halluzinationen beanspruchen können, lässt sich kaum ein Unterschied gegenüber einem Bewusstseinszustand unter Drogen feststellen. Das wiederum warf die Frage auf, ob damit aber letztlich nicht auch dem erlebten Zauber seine Kraft genommen wird. Das wurde mit dem Verweis darauf verneint, dass die intensive Erfahrung sich selber genüge. Dem könne auch ein besseres Wissen um die tatsächlichen Gründe für diesen Zustand keinen Abbruch tun.
Hierauf wurde jedoch eingeworfen, wozu man dann überhaupt magischer Erlebnisse bedürfe (da die ja in der Regel mit problematischen metaphysischen Auffassungen überfrachtet sind). Wenn es nur darum gehe, euphorische Momente zu erleben, dann lasse sich das ja auch ohne dergleichen tun. Warum soll man nicht auch in mit einem atheistischen oder wissenschaftlichen Weltbild intensive Glücksgefühle erfahren können? Dann würde man sich wenigstens auch keine Probleme mit der schwarzen Magie aufhalsen.
Damit waren wir bei der zentralen Frage angelangt, inwiefern die Entzauberung der Welt denn überhaupt einen Verlust bedeutet, den magische Erlebnisse vielleicht kompensieren können. Sofern diese ein intensives emotionales Erleben gewährten, könnte man den Verlust in der rationalen Kälte des wissenschaftlichen Bewusstseins ausmachen. Doch scheint dies noch nicht alles zu sein. Eine weitere Komponente des Verlusts könnte eben auch in dem Mangel an Sinn liegen, mit dem einen die Wissenschaft zurück lässt.
Doch wenn die Wissenschaft zu einem weniger glücklichen Bewusstsein führt, warum konnte sie sich dann überhaupt vom magischen Denken emanzipieren? Eine mögliche Erklärung könnte in ihrem massiven technischen Erfolg liegen, der eine viel machtvollere Beherrschung der Natur hervorbrachte, als es magische Rituale je taten. Darum wird die Wissenschaft wohl auch nicht wieder einer Rückverzauberung weichen.
Es bleibt somit die Frage, ob und wie sich das Positive von beidem bewahren lässt. Hier zeichneten sich tendenziell zwei Positionen ab, die auch schon zuvor Stellung bezogen hatten. Zum einen die VertreterInnen der Auffassung, dass sich beides kombinieren lässt, indem man im Prinzip eine aufgeklärt-wissenschaftliche Einstellung einnimmt, aber zwischendurch – wenn es gerade passt – sozusagen in den “magischen Modus” wechseln kann und die darin möglichen Glückserfahrungen geniesst. Damit geht jedoch einher, dass man diesen Zustand als subjektives Erleben ohne Wahrheitsanspruch betrachtet. Somit wird das magische Bewusstsein auf bestimmte nicht überlebensrelevante Situationen eingeschränkt und ist allein funktional auf den Wohlfühl-Effekt des Magischen aus. Die wissenschaftliche Gegenposition dagegen würde ihr Glück anderswo zu finden suchen und sei es darin, dass sie eine Pille schluckte.
Eigentliche Rückverzauberungsbestrebungen wurden hingegen als sehr problematisch eingeschätzt. Dergleichen Tendenzen, wie man sie in der Esoterik antreffe, seien höchst heikel. Sofern sie darauf hinaus liefen, hinter die Errungenschaften von Wissenschaft und Vernunft zurück zu kehren, sei der Preis zu hoch.
Es wurde jedoch eine Form von magischem Erleben ins Spiel gebracht, die diesen Preis nicht unbedingt verlange. Dabei ging es um das Verhältnis zwischen Menschen. In zwischenmenschlichen Begegnungen sei häufig ein magisches Moment zu erleben. Sofern man selber die entsprechende Bereitschaft oder Haltung dazu an den Tag lege, könne man häufig eine “magische” Resonanz erleben. Dies könnten auch sehr unscheinbare Begegnungen mit einer fremden Person sein, wo es nur um die Erwiderung eines Lächelns ginge. Diese Form von magischer Resonanz scheint tatsächlich eine häufige Erfahrung zu sein. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es sich dabei auch schon um Magie im eigentlichen Wortsinn oder nur um zwischenmenschliche Sympathie handelt?
Sofern man eine einfache Rückverzauberung ablehnt und sich höchstens auf temporäre magische Erlebnisse einlässt, bleibt der Verlust des Sinns, der mit dem magischen Denken einhergeht, noch ungedeckt. Lässt sich Sinn anders als magisch-religiös gewinnen? Es wurde weiter oben schon angesprochen, dass die Sinnstiftung ebenfalls zu einer subjektiven Angelegenheit geworden sei. Doch wie soll dies vonstatten gehen, wenn man nicht hinter die rational-wissenschaftlichen Auffassung zurück fallen will? Könnte es nach dem magischen und dem rationalen Denken eine weitere Entwicklungsstufe des Bewusstseins geben? Eine transrationale Bewusstseinsstufe (siehe z.B. Ken Wilber, Erich Fromm)? Wie könnte diese aussehen? In der Geistesgeschichte gibt es unterschiedliche Traditionen, die über die Rationalität hinaus zu gelangen versuchten. Sei es in den Bemühungen der Mystik oder aber auch in den selbstkritischen philosophischen Diskursen, die das (wissenschaftliche) Denken und seine Limitationen zu bedenken versuchen (siehe beispielsweise Die Dialektitk der Aufklärung von Horkheimer und Adorno). Auch bei Martin Buber scheinen entsprechende Bemühungen anzutreffen zu sein, die die Gefahr der Verdinglichung, die mit dem wissenschaftlichen Bewusstsein zusammen geht, durch ein verändertes Verhältnis zur Welt (eine sich verantwortungsvoll einlassende Ich-Du-Beziehung statt einer kontrollierenden und ausbeutenden Ich-Es-Beziehung) wieder gut zu machen versuchen. Ob und wenn ja welcher dieser Ansätze einen Ausweg zwischen der versperrten Rückverzauberung und der sinnentleerten Ernüchterung aufweisen könnte, bliebe jedoch noch abzuklären…

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