hirnblutung :: die Zehnte :: Do, 3. 1. :: Cabaret Voltaire

Liebe KophilosophInnen

Ich hoffe sehr, ihr habt Weihnachtstage heil überstanden und vielleicht ja sogar genossen. Das laufende Jahr neigt sich seinem Ende zu, aber die Welt dreht sich munter weiter. Und daher muss/darf ich euch schon die nächste hirnblutung im kommenden Jahr ankündigen. Kaum ausgenüchtert könnt ihr euch nämlich schon nächsten Donnerstag wieder den Kopf blutig denken. Beachtet bitte: Auf vielseitigen Wunsch hin hab ich versucht, einmal einen anderen Wochentag für uns zu bekommen. Ist mir gelungen: Also Donnerstag, und nicht Mittwoch.
Wie immer bekommt ihr vorweg die Gelegenheit, im Netz (hier: http://hirnblut.elenchos.ch/?p=108) eure Themenvorschläge für die Diskussion anzubringen und ihre absolute Dringlichkeit möglichst vorteilhaft zu schildern. Das ist zwar nur ein Angebot, das ich euch aber wärmstens wahrzunehmen empfehle, denn erfahrungsgemäss können sich diese schon ausformulierten Vorschläge etwas besser durchsetzen als spontan eingebrachte. Ich werde mir übers Wochenende ebenfalls noch die eine oder andere Fragestellung überlegen. Nächste Woche gibts wie immer noch den Reminder.
Die Zusammenfassung der letzten Diskussion musste bisher leider unter dem Weihnachsstress leiden, folgt aber in den nächsten Tagen. Bitte um Nachsicht.
Ich wünsche euch noch einen entspannten Abschluss des Jahres und einen guten Start ins neue Jahr.

Liebe Grüsse – imre

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6 Kommentare

  1. Was bleibt von der Alternativkultur?

    Die Alternativkultur hat sich etabliert. Trotzdem bleibt ihr Status umstritten. Während man als grünhaariger Teenie auf dem Dorf mit Statements wie „Die will wohl etwas Spezielles sein…“ leben musste, war es für urbane UntergrundbewohnerInnen immer klar, dass man sich mit dem eigenen Lebensstil bewusst von den Lebensgewohnheiten und Konventionen der herrschenden Schichten abgrenzen will. Im Idealfall blieb es nicht bloss bei der Abgrenzung und Ablehnung von der meist als spiessig, kaltherzig und verlogen betrachteten Bürgerlichkeit, sondern es ging auch darum einen positiven Gegenentwurf zu entwickeln, der ein besseres und authentischeres Leben versprach.

    Dieses Versprechen des Alternativen übt nach wie vor seine Anziehungskraft aus. Und dies obwohl schon seit den Anfängen der Gegenkultur erhebliche Einwände gegen ihre blosse Möglichkeit erhoben wurden. Am bekanntesten dürfte die Adornosche Äusserung sein, dass „es kein wahres Leben im falschen“ geben könne, das sich insbesondere auf die Lebensbedingungen in einer kapitalistischen Gesellschaft bezog. Andere wiederum argumentieren eher mit der Begrifflichkeit des gesellschaftlichen Systems, das einem Individuum keinen Spielraum ausserhalb dieses System bietet. Das Alternative wird dann als funktionale Abweichung betrachtet, die das System mit der nötigen Innovation versorgt, um dem Anpassungsdruck des Systems an seine Umwelt gerecht zu werden. SkeptikerInnen erklären das Phänomen damit, dass die Anhänger der Alternativkultur nur die VertreterInnen niedrigerer Schichten sind, und in der Alternativkultur ihre Aufstiegsambitionen artikulieren (Bourdieu). Sieht man zudem, mit welcher Selbstverständlichkeit die Strategien, Stile und Lebensweisen der Alternativkultur von der Wirtschaft vereinnahmt werden, stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Alternativkultur der bestehenden Kultur überhaupt etwas entgegen zu setzen hat, das sie ihr als ihr unveräusserliches Spezifikum betrachten kann.

    Ungeachtet dieser Zweifel scheint das Alternative eine Verheissung mit sich zu führen, die die Richtung auf ein sinnvolles, selbstbestimmtes und erfülltes Lebens zeigt. Handelt es sich also nicht doch um eine ethische Fragestellung, bei der es um mehr als um soziale Anerkennung geht? Es stellt sich daher auch die Frage, aus welcher Position heraus man spricht, wenn man für die eine oder die andere Auffassung argumentiert.

  2. Was soll man sich unter dem Bösen vorstellen?

    Das Böse ist eine moralische (und theologische) Kategorie, die kultivierte Menschen in der Regel nicht mehr gebrauchen. Als negative Seite einer binären Unterscheidung scheint sie der Komplexität der Verhältnisse nicht gerecht zu werden. Deshalb vermeidet man sie lieber und betrachtet Leute, die sie nach wie vor gebrauchen, als geistig rückständig (vgl. Bushs Image). Trotzdem scheint es mir fraglich, ob sich die Kategorie einfach so erübrigt. Zum einen ist sie ja schlichtweg die Opposition zum moralisch Guten, auf das wir ja auch nicht einfach so verzichten wollten. Des weiteren könnte es ja auch eine elegante Art und Weise sein, sich seiner eigenen moralischen Verantwortung zu entziehen, wenn man Handlungsweisen mit negativen Absichten oder Folgen nur noch aufgrund struktureller Gegebenheiten und Notwendigkeiten beschreibt. Verliert man damit nicht jene Fälle aus den Augen, wo Menschen Dinge tun, die nicht anders als als böse zu bezeichnen sind? Oder gibt es das gar nicht?

    Sofern man aber am Begriff des Bösen festhalten möchte, was hätte man sich darunter vorzustellen? Eine metaphysische Instanz, oder sogar eine Personifikation (der Teufel), oder schlicht ein Kriterium zur moralischen Beurteilung von Handlungen? Gäbe es das Böse nur unter Menschen, oder liessen sich damit auch andere Phänomene bezeichnen? Wo wäre der Sitz des Bösen zu verorten, woher stammt es und wie wäre damit umzugehen?

  3. Gibt es einen freien Willen und wenn ja, wie ist er beschaffen?
    Die Frage ist eine alte, doch scheint sie an Aktualität kaum eingebüsst zu haben. Die Psychologen, Neurowissenschafter und Biologen der Gegenwart präsentieren uns fortlaufend neue Studien, die uns unser Verhalten und Wesen erklären – was können wir denn noch selbst entscheiden, wenn so vieles durch unsere Erziehung/unser Umfeld oder unsere Gene bestimmt ist? Auch bei der philosophischen Betrachtung dieser Frage gibt es eine Reihe von Argumenten, die den freien Willen ganz stark anzweifeln. So stellt sich bei einer Entscheidung die Frage wie diese gefällt wird oder wurde. Wenn man dafür eine Ursache ausfindig machen kann, so wäre der Wille nicht mehr frei sondern determiniert, findet man diese nicht, so handelte es sich um Zufall, was wohl kaum besser wäre.
    Aus der allfälligen Beantwortung der Frage nach der Freiheit des Willens ergeben sich direkt Folgefragen: Wie weit trägt ein Mensch Verantwortung für sein (böses) Handeln? Was ist Schuld und wer kann sie (in welchem Ausmass) tragen? Inwiefern machen Strafen Sinn und gilt es einen Menschen oder seine Handlung zu bestrafen? Und um ganz dick aufzutragen: Würde die Nichtexistenz es freien Willens nicht jegliche Werte und Ideale relativieren und somit den Menschen dem Nihilismus zum Frass vorwerfen?
    Als aktuelles Beispiel für die Diskussion könnte die Verwahrungsinitiative oder die Todesstrafe dienen: Ist es richtig Menschen ein Leben lang oder mit dem Tod für eine Tat zu strafen, für die sie vielleicht gar nichts können?
    Die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem freien Willen kann durchaus auch als Grundlage für die Frage nach bösem Handeln dienen. Kann wer unfrei im Willen ist, böse handeln? Oder anders gefragt: Woher kommt der Wille zu bösen Taten?
    Es kann sein, dass dies ein bisschen viele Fragen und Themen sind (und so den Rahmen sprengen), doch ich sehe eine starke Verknöpfung zwischen ihnen und glaube, dass die meisten ethischen Fragen ohne die Beantwortung der Frage nach dem freien Willen witzlos sind. Daher gehe ich zudem davon aus, dass selbst Fragen über Alternativkulturen darauf aufbauen und diesen ein solides Fundament bieten kann.