hirnblutung :: die Siebte :: die Zusammenfassung :: Wie vertragen sich Aufklärung und Religiosität?

Da die letzte Diskussion schon wieder eine Weile zurück liegt und weil ich selber versucht war, die Argumente ein wenig systematisch zu ordnen, will ich nicht dafür garantieren, dass der Text den Gesprächsverlauf korrekt wieder gibt. Ich hoffe, dass er das wenigstens sinngemäss tut. Ich hab mich zugegebenermassen ein wenig schwer mit ihm getan.
Die Diskussion unterschied sich im Vergleich zu den vorangegangen dadurch, dass einige der Anwesenden schon relativ klare Ansichten zum Thema hatten und diese auch in die Debatte einbrachten. Das trifft übrigens auch auf mich als Verfasser dieses Textes zu.
Das lag wohl nicht zuletzt daran, dass wir mangels Alternativen über das von mir im Netz vorgeschlagene Thema diskutierten. Ich hatte die Fragestellung folgendermassen formuliert:
„Kann man in der aufgeklärten Welt noch religiös/spirituell sein, ohne sich wieder hinter die Einsichten der kritischen Vernunft zurück zu begeben? Und wenn ja, wie?
Im Zuge des reaktionären Backlashs ist allerorts vom Revival der Religionen der Rede. Das könnte uns ja egal sein, wenn uns nicht auch im Privaten plötzlich vermehrt Menschen begegnen würden, die uns zu unserem grossen Erstaunen ihren Glauben bekennen. Also statt das Phänomen mit Desinteresse zu bestrafen, wäre es vielleicht angebracht, sich wieder einmal damit auseinanderzusetzen und sich dabei auch der eigenen Positionen zu vergewissern.
Die philosophische Aufklärung bezog einen grossen Teil ihres Antriebs aus der Bekämpfung religiöser Dogmen und Vorurteile, denen sie den mündigen Gebrauch der Vernunft entgegen setzte. Lässt sich Religiosität mit einem aufgeklärten Bewusstsein verbinden oder gibt es fundamentale Widersprüche, die einen dazu zwingen, religiöse oder spirituelle Überzeugungen und Ambitionen zugunsten eines aufgeklärt-atheistischen Weltbildes aufzugeben? Wie könnte/müsste eine aufgeklärte und undogmatische Religiosität aussehen?“
Die Fragestellung war somit eine zweiteilige, wobei eine positive Antwort auf die erste Frage die Voraussetzung dafür war, überhaupt auf die zweite einzugehen. Nur wenn wir zu der Ansicht gelangten, dass sich Religiosität mit den Anforderungen einer kritischen Beurteilung durch die Vernunft verträgt, können wir uns danach fragen, wie eine solche Religiosität denn auszusehen habe.
Eröffnet wurde die Diskussion mit zwei Plädoyers, die einen sehr kritischen Standpunkt gegenüber Religionen und Religiosität einnahmen. Der primäre Einwand bestand darin, dass Religionen immer gewisse Dogmen, also unhinterfragbar gegebene und hinzunehmende Grundüberzeugungen, beinhalten, was sich nicht mit dem Kritizismus und Skeptizismus eines aufgeklärten Bewusstseins vertrage. Dieser Einwand wurde dahingehend weiter geführt, dass konsequent religiöse Menschen (insbesondere die den säkularen Westen verachtenden islamistischen Terroristen) eigentlich auf die Errungenschaften der Wissenschaften (so tolle Sachen wie Waffen, aber auch Kommunikationstechnologie etc.) verzichten müssten, da letztere in ihrem historischen Fortgang wiederholt gegen die Dogmen der Religion Stellung bezogen hatten. Beispiele hierfür sind das kopernikanische Weltbild oder die Sezierung des menschlichen Körpers. Konsequenterweise sollten die Errungenschaften der Wissenschaften nur von jenen Menschen genutzt werden, die auch die mit ihnen einhergehende aufgeklärte Weltanschauung teilten. Ansonsten verheddere man sich in Widersprüchen.
Dieser Offensive gegen die Religionen wurde mit der Feststellung begegnet, dass religiöse Menschen häufig eine besonders positive Ausstrahlung und psychische Kraft besitzen. Diese Beobachtung stellte die Grundlage für den Schluss dar, dass am Glauben ja etwas dran sein müsse, wenn er solche Effekte zeitigt. Der Kritik an den religiösen Dogmen wurde entgegen gehalten, dass man diese Dogmen ja nicht eins zu eins übernehmen müsse. Stattdessen könne man sie auch als Gleichnisse betrachten. Jeder und jede könne für sich selbst bestimmen, an welche Gottesvorstellung und an welche religiösen Überzeugungen er oder sie glauben wolle.
Doch gerade dieses Argument weckte die erneute Kritik der Aufklärungsfraktion, da sie darin das implizite Eingeständnis erkannte, dass unsere Gottesvorstellungen letztlich von uns selber abhängen. Daher liege dieser Rettungsversuch auf einer Linie mit jener religionskritischen Tradition, die in den Göttern bloss die anthropomorphen – also nach dem Menschen gestalteten – Projektionen der eigenen Idealvorstellungen erkannte. So meinte schon Xenophanes, dass, wenn die Pferde Götter hätten, sie wohl wie Pferde aussehen würden. Eine solche Gottesvorstellung leidet daran, dass das Wesen Gottes zuächst von uns Menschen abhängt, und nicht wir von ihm. Und sie läuft zudem auch Gefahr, als blosse Illusion betrachtet zu werden, da es aus erkenntnistheoretischer Sicht nicht denkbar ist, dass unterschiedliche und sich widersprechende Gottesvorstellungen zugleich wahr sein können. (Ein Argument, dass ansonsten in der Debatte nicht vorgebracht wurde, sich aber auch auf kollektiver Ebene anführen lässt: Der Wahrheitsanspruch der verschiedenen Religionen bringt es mit sich, dass sie sich gegenseitig widersprechen und damit relativieren. Für einen postmodernen Wahrheitsbegriff wäre das ja vielleicht kein Problem, doch leider vertreten die wenigsten Religionen einen postmodernen Wahrheitsbegriff. Dass dieses offenkundige Dilemma bei uns nicht angesprochen wurde, hängt vielleicht damit zusammen, dass sich unsere Diskussion die meiste Zeit vor dem Hintergrund des Christentums abspielte.) Es ist daher sehr zweifelhaft, ob eine solche subjektive Gottesvorstellung mit dem eigentlichen Gottesbegriff verträglich ist, der wohl eher als eine primäre (sich offenbarende) Gegebenheit zu denken ist, die keinen Spielraum für subjektiven Eklektizismus zulässt. Um mit einem biblischen Gleichnis zu sprechen: Handelt es sich bei einem nach den eigenen Überzeugungen zurecht gestutzten Gott nicht gerade um ein menschengeschaffenes Götzenbild anstelle des „wahren“ Gottes?
Diese Kritik liess sich zudem dahin gehend fortführen, dass mit dem Moment der subjektiven Prüfung, Beurteilung und Auswahl des persönlich-individuellen Gottesbegriffs ja schon die kritische Methode der Aufklärung in diesen Gottesbegriff eingeht. Wir scheinen nur einen Gott (oder eine Göttin, wie zwischendurch eingewandt wurde) zu akzeptieren, der unseren eigenen Ansprüchen und den Anforderungen der Vernunft gerecht wird. Das Dilemma, dass das überlieferte Gottesbild mit unseren Überzeugungen kollidieren könnte, lösen wir daher in der Regel, indem wir die uns nicht passenden Eigenschaften und Inhalte nicht mehr wörtlich, sondern bloss noch metaphorisch oder allegorisch auffassen. Da stellt sich dann aber die Frage, warum man da nicht noch einen Schritt weiter gehen und auf diesen Gottesbegriff gleich ganz verzichten sollte, anstatt sich seinen eigenen Gott zu „basteln“?
Dies führte zur Frage, warum man überhaupt glaubt. Was veranlasst jemanden zu glauben und welche Gründe lassen sich dafür anbringen? Interessanterweise schienen sich zwar die meisten Anwesenden nicht als Gläubige zu betrachten, aber zumindest eine erhebliche Anzahl von uns wäre es eigentlich gerne. Wie schon bei dem oben angeführten Statement zum Ausdruck kam, scheinen viele die Auffassung zu teilen, dass der Glaube einen positiven Effekt auf die eigene psychische Verfassung ausüben kann, da man dadurch ein Fundament in seinem Leben erhält, das einen auch in schwierigen Situationen trägt. Das Problem, das sich jedoch bei einer solchen Herangehensweise stellt, besteht darin, dass man damit nur eine subjektive Motivation – den Wunsch nach psychischem Wohlbefinden – als Glaubensgrundlage ausgemacht hat. Da der Glaube aber immer auch objektive Wahrheiten zu erkennen beansprucht, kann eine rein subjektive Motivation als vernünftige Begründung für den Glauben nicht hinreichen. Ein so verstandener Glaube hat den Charakter einer Autosuggestion, der eine reale Entsprechung dessen fehlt, woran man glaubt. (Und im Gegensatz zu gewissen Formen der Autosuggestion, die sich auf die eigene Person beziehen, kann er auch nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden, da autosuggestiver Glaube höchstens dazu führen kann, mich und meinen Wirkungskreis zu verändern, nicht jedoch die Welt als solche). Wer also alleine aus dem emotionalen Bedürfnis nach Kraft oder universeller Gerechtigkeit glauben würde, beginge den Fehler, vom eigenen Wünschen auf die Wirklichkeit zu schliessen.
Da beim Glauben das emotionale Moment offensichtlich eine wichtige Rolle spielt, stellte sich die Frage, wie sich die anwesenden Nichtgläubigen denn ihre Gottheiten und die religiösen Überzeugungen ausmalten, damit diese überhaupt die erhofften psychischen Resultate hervorrufen könnten. Welche konkrete Ausgestaltung musste dieser Glaube haben, dass er für sie trotz aller Bedenken eine solche Attraktivität besitzt?
Eine Teilnehmerin versuchte, diese Fragen zu beantworten, indem sie sich überlegte, welche Charakteristika dieser Gott an den Tag legen müsste, um ihren emotionalen Ansprüchen zu genügen. So weit ich mich erinnere, handelte es sich vor allem um einen liebenden Gott, der einem Geborgenheit in der Welt gibt. Von daher könnte man über diesen Gott sagen, dass er sicher personale (menschliche) Züge hat und es sich nicht einfach um eine abstrakte überirdische Kraft handelt. Ausserdem musste dieser Gott sicherstellen, dass letztlich alles in der Welt gut ist und seine Richtigkeit hat. Er gewährleistet, dass unser irdisches Tun und Lassen nicht sinnlos ist, und sorgt in seiner Allmacht dafür, dass jeder und jede ihre gerechte Belohnung respektive Strafe erhält.
Diese Beschreibungen des idealen, da liebevollen und das Gute garantierenden Gottes demonstrieren, dass wir unsere Gottesvorstellung konkretisieren und ausgestalten müssen. Oder wie es ein Teilnehmer formulierte: Jede Religion basiert darauf, dass ihre Gottheiten mit bestimmten „Kompetenzen“ versehen sind, die sie ausüben. Das Problem, das man sich dabei jedoch einhandelt, ist, dass diese Ausgestaltung mit gewissen Überzeugungen einher geht, die den Charakter von Dogmen haben müssen, da sie sich nicht überprüfen lassen oder teilweise irrational sind. Beispiele hierfür sind die Gottesattribute als solche (Allmacht, Omnipräsenz etc.), dann aber auch die als Mysterien überlieferten Erzählungen wie die Menschwerdung Gottes oder die Jungfräulichkeit Marias. Sehr gut lässt sich dieses Problem am Konzept des Wunders illustrieren. Wunder sind für gläubige Menschen wo nicht ein Beweis so doch zumindest eine Bestätigung für ihren Glauben. In einem aufgeklärt wissenschaftlichen Weltbild haben Wunder im eigentlichen Sinn jedoch keinen Platz. Denn entweder handelt es sich nur um vermeintliche Wunder. Das ist dann der Fall, wenn sich etwas ereignet, was nach wissenschaftlichen Erkenntnissen äusserst selten eintritt, aber immer noch mit den Naturgesetzen konform ist. Beispielsweise, wenn eine Frau mit fünfzig Jahren schwanger wird. Oder es handelt sich um ein tatsächliches Wunder, was heisst, dass ein Ereignis den Naturgesetzen widerspricht. Beispielsweise wenn jemand von den Toten aufersteht oder wenn jemand übers Wasser spaziert. Echte Wunder können nur durch göttliche Intervention in den Lauf der Geschichte zustande kommen. Dazwischen mag es eine Grauzone jener Phänomene geben, die uns wie Wunder vorkommen und für die man gegenwärtig noch keine wissenschaftlichen Erklärungen angeben kann, wo man aber davon ausgeht, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt mit höherem Wissensstand erklären lassen. Das Beispiel hierfür wären die oft zitierten buddhistischen Mönche, die aufgrund ihrer Meditationspraxis zu Fastendiäten und anderen Leistungen in der Lage sind, die uns Normalsterblichen verwehrt sind. Die Quintessenz dieser Erörterung ist somit, das Wunder einem aufgeklärten Weltbild per Definition widersprechen, weshalb man den Glauben an sie aufgeben sollte. (Wobei sich ergänzen liesse, dass WissenschaftlerInnen auch um die Problematik des Konzepts „Naturgesetz“ wissen sollten.).
So ähnlich wie den Wundern ergeht es nun den meisten Dogmen einer Religion. Sei es die Offenbarung des Wortes Gottes – sprich: die Bibel als Text – , sei es die Schöpfungsgeschichte, sofern sie sich wissenschaftlich überprüfen lassen, werden sie von der Aufklärung der Reihe nach zerpflückt. Eines Tages geraten sie in Konflikt mit den Erkenntnissen von Wissenschaft und Vernunft und müssen dann nach einigen Rückzugsgefechten aufgegeben werden. Jene Dogmen, die sich nicht überprüfen lassen, halten aber dem Zweifel ebenso kaum stand, da man ihnen auch völlig andere unüberprüfbare Behauptungen entgegen setzen kann, die genauso viel Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen können. Ob es Gott gibt oder nicht, entzieht sich unserem Erkenntnisvermögen. Ob es der christliche Gott, ein bösartiger Demiurg oder das Fliegende Spaghettimonster (http://de.wikipedia.org/wiki/Fliegendes_Spaghettimonster) war, das die Welt erschaffen hat, bleibt somit völlig spekulativ. Deshalb macht es aus aufklärerischer Sicht keinen Sinn, an irgendeine dieser Auffassungen zu glauben.
Religionen kommen aber nicht darum herum, ihre Gottheiten und das dazu gehörige Weltbild konkret auszugestalten. Wenn eine Religion darauf verzichtet, ihren Gottheiten bestimmte Kompetenzen und konkrete Eigenschaften zuzuschreiben, dann laufen diese Gottheiten Gefahr für das irdische Treiben uninteressant zu werden. Denn ein Gott, über den man nichts aussagen kann, erweist sich als wert- oder nutzlos, da er keinerlei Konsequenzen für unser Leben hat. (Im Gespräch wurde noch zwischen einem für uns wertlosen und einem nutzlosen Gott unterschieden, ich kann aber leider nicht mehr wiedergeben, worin der Unterschied genau besteht.) Als Beispiel wurde ein Gott angeführt, dessen einzige Macht darin bestand, die Welt zu erschaffen, und der seither bloss noch als teilnahmsloser Zuschauer am kosmischen Geschehen teilnimmt. Ein solcher Gott sei für uns irrelevant. (Ich bin nicht ganz sicher, ob dieses Beispiel tatsächlich geeignet ist, da es ja immer noch eine Aussage über die Welt beinhaltet, in der wir leben. Wenn wir davon ausgehen, dass die Welt von einem guten Gott geschaffen wurde, haben wir meines Erachtens mehr Grund zum Optimismus, als wenn das nicht der Fall ist.) Somit stehen Gläubige vor dem Dilemma, dass ihnen ein absolut unbestimmter Gott egal sein kann, während ein positiv bestimmter Gott sie vor das Problem stellt, ob und wie sie an dessen Eigenschaften glauben sollen und wie sie den Rest der Welt von der Wahrheit ihrer Einsichten überzeugen können.
Daher stellte sich die Frage, weshalb man überhaupt noch Glauben festhalten und nicht gleich ins Lager der AtheistInnen wechseln soll. Ein mögliches Argument wäre die so genannte Pascalsche Wette (http://de.wikipedia.org/wiki/Pascalsche_Wette), die darin besteht, dass man aufgrund eines strategischen Kalküls besser fährt, wenn man an die religiösen Dogmen glaubt. Das Argument schien bei den DiskussionsteilnehmerInnen jedoch nicht wirklich zu verfangen.
Daraufhin wurde ein Aspekt angeführt, der nochmals auf die emotionale Komponente der Religion rekurrierte, nämlich dass bei vielen Gläubigen eine religiöse Erfahrung dem Glauben vorangeht. Die bisherige Kritik an der emotionalen Begründung des Glaubens ging ja dahin, dass sich aus einem seelischen Bedürfnis keine Aussagen über Gott und die Welt ableiten liessen, da es sich dabei um Projektionen handelt. Viele religiöse Menschen nehmen ihre spirituellen Erfahrungen jedoch ganz anders wahr. Sie betrachten sie als unmittelbare Beweise für ihren Glauben, unabhängig von ihrem Wunsch nach einer sinnvollen Welt. Indem sie „Gott erfahren“, glauben sie über die von der Vernunft eingeforderte Evidenz für ihre Überzeugungen zu verfügen. Daher werden sie unter Umständen auch gar nicht mehr von Glauben, sondern von einem Wissen über Gott sprechen. Etwas Ähnliches ist wohl auch mit dem Begriff der Offenbarung gemeint, der für eine Erkenntnisart steht, die unmittelbar und als solche evident ist. In der Diskussion wurde dieser Gesichtspunkt jedoch nicht weiter erörtert, möglicherweise weil er sich mit schon vorangegangenen Auseinandersetzungen zu erübrigen schien. Denn die naheliegendsten Einwände gegen den Wahrheitsanspruch solcher spiritueller Erfahrungen werden zum einen das Projektionsargument wieder aufnehmen und zum andern wieder auf das Problem der Überprüfbarkeit hinweisen. (Wobei sich darüber streiten lässt, ob die strengen naturwissenschaftlichen Methoden zur Herstellung intersubjektiver Überprüfbarkeit bei religiösen Erfahrungen eins zu eins angewendet werden können.)
Ein Rettungsversuch der Religion kehrte die Argumentation der ReligionskritikerInnen um, indem darauf hingewiesen wurde, dass Zweifel, kritisches Nachdenken und der Verzicht auf eine bildhafte Ausmalung des Gottesbegriffs selbst schon immer Bestandteil der religiösen Tradition waren, weshalb die Aufklärung gar nicht unbedingt eine neue Qualität ins Spiel gebracht habe. Zudem hätten sich die Religionen schon immer dem Wandel der Zeit ausgesetzt gesehen und sich daher den veränderten Lebensbedingungen angepasst. Das Argument verfing jedoch nur bedingt, da damit nicht beantwortet wurde, weshalb man dann die Religion nicht gleich ganz aufgegeben habe.
Die Antwort hierauf lautete, dass die religiöse Tradition eben auch sehr vieles überliefert habe, was uns im praktischen Leben helfe. Seien dies Rituale zur Bewältigung von Alltag und Grenzerfahrungen, diskursive Praktiken zur Reflexion über Gott und die Welt oder die gelebte soziale Gemeinschaft der Gläubigen. Derlei Dinge gingen verloren, wenn man die Religion mitsamt dem Glauben verabschieden würde. Religiöse Praxis lasse sich daher auch ohne einen konkreten Glauben leben. (Hier zeigt sich, dass auch verschiedentlich Versuche unternommen wurden, begriffliche Differenzierungen einzuführen, um unterschiedliche Phänomene besser zu fassen.)
Diese Ausführung legte den Finger auf eine Schwachstelle innerhalb der „aufklärerischen Position“. Aufklärung, Wissenschaft und rationaler Diskurs scheinen in ihrem kritischem Unterfangen bisweilen zu weit zu gehen (oder eben gerade nicht weit genug). Denn indem sie die Religion(en) insgesamt diskreditieren, schaffen sie eine Lücke, die sie selbst nur ungenügend füllen. Der aufklärerische Kahlschlag führt dazu, dass sich die Menschen in der Welt unbeschützt und verloren fühlen und nicht recht wissen, woran sie sich halten sollen. So lange diese insbesondere auch emotional wahrgenommene Lücke bestünde, sei die aufklärerische Position keine vollwertige Alternative zur Religion. Damit standen wir vor der Beantwortung der zweiten Eingangsfrage, also der Frage, ob es auch so etwas wie eine aufgeklärte Religiosität geben könne. Die Frage wurde zwar nicht in dieser Form diskutiert und die VertreterInnen der Aufklärungsposition schienen sich gegen den Ausdruck „Religion“ tendenziell zu verwahren, aber es wurde von verschiedener Seite eingestanden, dass bestimmte Elemente von Religion auch in einer aufgeklärten Lebenspraxis Platz haben könnten.
So wurde zum einen zugegeben, dass auch eine aufgeklärte Weltanschauung nicht ohne bestimmte Annahmen über die Welt auskommen kann, an die man einfach glauben müsse, da sie letztendlich nicht abschliessend begründbar seien. Selbst der radikalste Vertreter eines wissenschaftlichen Weltbildes behauptete zwar, dass die Welt in letzter Konsequenz absurd sei, gestand aber immerhin zu, dass die Menschen auch unter diesen Voraussetzungen nicht darum herum kämen, sich einen Sinn in ihrem Leben zu geben beziehungsweise zu finden.
Im Gegensatz zu den religiös-dogmatischen Überzeugungen würden sich die aufgeklärten Überzeugungen und Wertvorstellungen jedoch dadurch auszeichnen, dass man sie aufgrund einer kritischen Prüfung durch Erfahrung und Vernunft ausgewählt habe. Das heisst, man hält an diesen Überzeugungen nur so lange fest, wie sie nicht durch die Realität oder vernünftige Argumente widerlegt werden (hier klingt das Poppersche Falsifikationsprinzip an).
Dieser Ansatz erlaubt es nun auch, gewisse Praktiken, Werte und Alltagstechniken aus den religiösen Traditionen nach eingehender Prüfung zu übernehmen und neu zu kontextualisieren (also gerade das zu tun, was den religiös Gläubigen prinzipiell verwehrt ist). Hierzu können nun auch Praktiken gehören, die uns emotional tragen und positive psychologische Wirkungen zeitigen. Derlei Praktiken lassen sich zudem auch aus sehr unterschiedlichen religiösen Traditionen übernehmen. Als Beispiele hierfür lassen sich Techniken wie Meditation oder Yoga, die Praxis der Nächstenliebe und möglicherweise sogar das Beten anführen.
Daneben hat die Aufklärung jedoch auch eigene Praxisformen hervorgebracht, die sich nicht bloss kritisch und negativ artikulieren. So wird beispielsweise der Kunst in ihren verschiedenen Ausprägungen häufig eine ähnliche Erfahrungstiefe zugeschrieben wie der Religion. Aber auch gerade der vernünftige und reflexive Diskurs der Philosophie kann als eine solche produktive und sinnstiftende Praxis verstanden werden, da seine Kritik ja vor allem im Dienste einer Emanzipation und Orientierung der Menschen steht. Neben der Kritik an der Religion hat die Aufklärung zugleich auch positive Werte hervorgebracht, die sich beispielsweise in einem Humanismus, in den Werten der französischen Revolution, in den progressiven Utopien des Sozialismus oder in den Menschenrechten niederschlugen. (Und könnte man hier nicht auch die moderne Medizin und Psychotherapie als wissenschaftliche Techniken zur „Heilung“ des Menschen ergänzen?)
Der Erwiderung von Seiten der AufklärungsskeptikerInnen lautete, dass jemand mit einer solchen Weltanschauung niemals eine vergleichbare seelische Stabilität erfährt wie ein religiös gläubiger Mensch. Ein gläubiger Christ sei beispielsweise in einer Foltersituation viel widerstandsfähiger als eine aufgeklärte Atheistin.
Die VertreterInnen der Aufklärungsposition wollten diesen Vorwurf jedoch nicht auf sich sitzen lassen und begegneten ihm mit der Gegenfrage, warum jemand, der mit der gleichen Überzeugung und auch mit der gleichen Zuversicht wie religiös Gläubige an seinen Idealen festhält, in Grenzsituationen nicht genauso standhaft sein könne? Warum soll eine gottlose Weltanschauung nicht auch Kraft und Hoffnung bieten? Ein aufgeklärtes Weltbild schliesse ja nicht aus, dass man ebenfalls an das Gute und an die Liebe glaube. Es schliesse auch nicht aus, dass man spirituelle Erfahrungen mache, beispielsweise angesichts der Natur oder dessen, wozu unser Bewusstsein in der Lage ist. Solche Erfahrungen würden jedoch keinen religiösen Glauben an Götter implizieren. Zudem stünde noch der Nachweis aus, dass beispielsweise ChristInnen tatsächlich folterresistenter seien als AtheistInnen, da es auch „gläubige“ KommunistInnen gegeben habe, die für ihre Überzeugungen gelitten und aus diesen Kraft gewonnen hätten.
Daraufhin wurde ein weiteres Argument für die überlegene Attraktivität eines religiösen Glaubens angeführt. Es beruht darauf, dass mit Gott ein Zufluchtsort jenseits der Realität konzipiert wird. Diese Vorstellung erlaubt es einem, in schwierigen Situationen aus der Realität zu flüchten und aus/in dieser vorgestellten Transzendenz neue Kraft zu schöpfen. Die Wirksamkeit dieser Spaltung der Welt lasse sich an Schizophrenen demonstrieren, die bedrohliche Lebenssituationen ebenfalls durch eine Persönlichkeitsspaltung bewältigten, indem sie gewisse Persönlichkeitsanteile in eine imaginäre Welt flüchten liessen. Leider warf jedoch gerade dieser Vergleich wieder Zweifel an der Überzeugungskraft dieses Arguments auf.
Eine letzte Vermutung für die intuitiv festgestellte Fragilität der Aufklärungsposition ging dahin, dass diese Position aufgrund ihrer kritischen und häufig auch skeptischen Methode daran leidet, dass sie auch ihre eigenen Ansichten und Einsichten immer wieder dem Zweifel unterziehen muss. Das führe letzten Endes dazu, dass die aufklärerische Position über keine so stabilen und unhinterfragbaren Grundsätze verfüge, wie es die gottgegebenen Gewissheiten für einen religiös gläubigen Menschen sind. Die Werte und Ideale der Aufklärung stünden somit immer auch wieder zur Disposition, was es erschwere, sich mit der selben Zuversicht auf sie zu verlassen wie auf eine göttliche Offenbarung. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurde das Argument jedoch nicht weiter diskutiert.
Abschliessend konnte festgehalten werden, dass die sich widersprechenden Standpunkte zumindest auf den Minimalkonsens gebracht werden konnten, dass sich eine gewisse Form von Religiosität durchaus mit aufgeklärten Bewusstsein verträgt. Wobei unter solcher Religiosität weniger ein Glaube an überirdische Gottheiten mit magischen Kräften als vielmehr eine besondere Lebenspraxis zu verstehen ist.

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4 Kommentare

  1. Bei einem Punkt, der in der Diskussion ein wenig zu kurz gekommen ist und der in der Zusammenfassung ausgeführt wird, kann ich sehr beipflichten: eine subjektive Gottesvorstellung, die sich nach Gutdünken aussucht, was ihr gefällt und die die Bedürfnisse des Individuums zum Massstab macht, verträgt sich nicht mit einem irgendwie theologisch oder philosophisch reflektierten Gottesbegriff. Und ob sich die Methode der Aufklärung hier so leicht ins Spiel bringen lässt? Es ging den VertreterInnen der Fraktion „Bastle dir deinen Gott!“ ja gerade nicht darum, dass das so entstandene Bild den Ansprüchen der kritischen Vernunft genügen muss, sondern es waren ja vielmehr die eigenen Bedürfnisse nach Sicherheit, Geliebtwerden, Halt und psychischer Stärke, die ausschlaggebend waren. Die Frage, ob man dann auf den Gottesbegriff (und auch auf den Göttinnenbegriff,-) nicht lieber gleich ganz verzichten sollte, kann ich nur bejahen.

    Es gibt einen Punkt, der immer wieder, teils zwischen den Zeilen aufscheint: die Vorstellung, dass Religion dogmatisch und auf Autoritäten basierend ist, während das Rekurrieren auf die Vernunft, Humanismus etc. völlig neue Errungenschaften der Moderne darstellen. Religion wird auf diese Weise meines Erachtens sehr stark reduziert auf ihre institutionellen Verkörperungen und nicht in ihrer Bedeutung für die Geistesgeschichte anerkannt.
    Um ein paar Beispiele zu nennen, die vielleicht etwas unsystematisch nebeneinander stehen: Ohne die sich im jüdisch-christlichen Denken entwickelte Vorstellung der Eschatologie, also ohne die Vorstellung, dass Zeit nicht unbefristet und ziellos dahin fliesst oder sich zyklisch immer wieder aufs Neue wiederholt, sondern ein Ziel hat, wäre vermutlich so etwas wie der Fortschrittsgedanke gar nicht möglich geworden. Genauso wie der Humanismus auch nicht einfach von der Aufklärung „erfunden“ wurde, sondern seine Wurzeln wesentlich in den Religionen hat. Und wenn Descartes das Verdienst zugeschrieben wird, die Philosophie von der Religion emanzipiert zu haben, hätte er das vermutlich ohne seine Denkschulung bei den Jesuiten nicht vermocht.
    Das heisst natürlich nicht, dass es sich bei den Errungenschaften der Aufklärung nicht um eigenständige geistesgeschichtliche Leistungen handelt. Es ist mir nur daran gelegen zu sagen, dass sie eben auch dank und nicht nur entgegen der religiösen Denkformen und Traditionen möglich wurden und zum Teil ohne diese schlicht nicht zu verstehen sind.
    Die Frage, weshalb die Religion weiter von Nöten sei, nach dem die Aufklärung ja durchaus die vernünftigen Bestandteile irgendwie integriert hatte, ist damit noch nicht beantwortet.
    Ob die Menschen seit der Aufklärung vernunftgeleiteter leben als zuvor, soll hier mal nicht grundsätzlich bejaht oder verneint werden. Klar sein dürfte, dass Irrationalität nach wie vor ein sehr stark verbreitetes Phänomen ist. Und zwar nicht nur im persönlichen Bereich, sondern auch in den geltenden Weltanschauungen. Warum ist Widersprechen fast unmöglich, wenn etwas als ökonomischer Sachzwang dargestellt wird? Weshalb ist die Macht der uns umgebenden Bildwelten dermassen bestimmend für unsere Wahrnehmung geworden? Wieso mühen wir uns bis zum Zusammenbruch ab uns selbst zu verwirklichen? Die einen setzen sich sicher kritisch mit diesen Phänomenen auseinander, können sich aber diesen oft quasireligiösen Einflüssen auch kaum gänzlich entziehen. Es ist nicht einfach eine Vernunftorientierung, die die Dogmen und Bilderwelten der Religion ersetzt hat, sondern es sind vielfältige neue Formen der Sicherheits- und Sinnsuche. Diese sind zwar individuell und auf den ersten Blick frei, aber es lässt sich wohl auf den zweiten Blick nicht wirklich behaupten, dass sie bereits dazu geführt haben, Menschen zu einer erfüllten und befreiten Existenz zu verhelfen. Dass diese neuen Formen nicht mehr so einfach sicht- und fassbar sind und oft eben gerade als Freiheit deklariert werden, macht sie nicht weniger ideologisch.
    Die Religion hat sich zu allen Zeiten mit den Fragen nach dem letzten Grund, nach dem Sinn angesichts der Absurdität des Daseins, mit dem, worauf wir unser Leben ausrichten und mit den Regeln, die darauf aufbauend das Zusammenleben bestimmen sollen, befasst. Wenn Religionen von „Gott“ sprechen – sie tun es ja nicht in jedem Fall – meinen sie damit ja das jenseits menschlicher Erkenntnis Liegende. Und die im Judentum und Christentum zentralen Gebote, keine anderen Götter zu haben und sich von „Gott“ kein Bildnis zu machen, haben letztendlich ein sehr grosses ideologiekritisches Potential, da sie davor warnen, irgendetwas absolut zu setzen. (Dass hier Religion oft auch stark von der Macht korrumpiert wurde und ihre eigenen Institutionen mit der von Gott gewollten Herrschaft gleichgesetzt wurden, ist nicht zu bestreiten.)
    Klar kann man sagen, dass sowohl das Suchen nach Antworten auf Fragen nach dem letzten Grund und der Ausrichtung unseres Lebens wie auch die Kritik an den neuen quasireligiösen Formen genauso gut, wenn nicht besser, von der Philosophie geleistet werden können. Dem möchte ich auch gar nicht widersprechen. Aber zum einen lässt sich aus der Tatsache, dass es auch noch einen anderen Weg gibt, nicht ableiten, dass die Religion als Ort dieser Auseinandersetzung und Kritik ihre Daseinsberechtigung verliert. An beiden Orten, in der Philosophie wie in der Religion, werden es ja nur bestimmte Kreise sein, die das oben beschriebene Anliegen verfolgen. Auf beiden Seiten wird es auch zahlreiche Strömungen geben, die die Aufgabe der Religion, aber auch jene der Philosophie, völlig anders bezeichnen würden. Weshalb dann aber dort, wo man ein gemeinsames oder doch zumindest ähnliches Ziel verfolgt, sich gegenseitig den Anspruch streitig machen? Weshalb sollte man die Religion gleich ganz aufgeben, nur weil man sich einer bestimmten Tradition innerhalb ihrer verpflichtet fühlt, die sich der vernünftigen Auseinandersetzung zu stellen versucht?
    Es gibt noch einen Punkt, nämlich den, dass die Religionen neben dem Nachdenken und Debattieren über existentielle Fragen auch eine sehr starke narrative Tradition, vielfältige Formen des Rituals, der Mystik und des Gemeinschaftslebens entwickelt haben. Hier liegt meines Erachtens ein sehr grosser Reichtum, der aber gleichzeitig auch sehr stark ideologisch belastet ist. Es ist und bleibt zwiespältig, viele Formen lassen sich nicht einfach so weiterführen ohne die damit verbundenen Gedankengebäude aufzugeben. Genauso wenig ist es aber möglich einzelne Dinge, die quasi aufklärungskonform sind, einfach so herauszupflücken, ohne dass sie ihre Bedeutung einbüssen. Ich weiss es nicht wirklich, aber ich würde in die Richtung tendieren zu sagen, dass die Geschichten und Zeichenhandlungen, die Formen der Meditation und des Gebets des Aushaltens der Widersprüche, die religiöse Tradition immer gekennzeichnet haben, bedürfen, wenn sie nicht ihre Kraft verlieren wollen. Es gibt keine Widerspruchslosigkeit auf einem Gebiet, das sich gerade den Fragen stellt, auf die es keine Antwort, sondern immer nur Antwortversuche geben kann. Wenn man sich nicht auf dieses heikle Gebiet begeben will, kann ich das mehr als gut verstehen. Auf der anderen Seite behält es eine Faszination. Diese im Namen der Vernunft aufzugeben ist eben nicht einmal vernünftig, weil sie, wie bereits zu sagen versucht, Formen des „Glaubens“ an anderen Stellen wieder hervorbringt und nicht einfach aus der Welt ist.

  2. begreift es endlich. religion ist opium fürs volk und für all jene, die es nicht ertragen, dass die welt und jegliche unternehmungen in ihr schlichtweg sinnlos und absurd sind. das gilt auch für eine religion ohne götter und es gilt genauso für vermeintlich aufgeklärte humanisten. bloss weil wir uns eine sinnvolle welt wünschen, heisst das nicht, dass sie sinnvoll ist. es macht keinen unterschied, ob ich einen sinnstiftenden gott ins universum projiziere oder ob ich das „nur“ mit freiheit, gerechtigkeit und brüderlichkeit tue. alle sinn- und heilsversprechen dienen ebenso wie die ach so netten da gemeinschaft stiftenden rituale einzig dem zweck der eliten, die massen lammfromm zur schlachtbank zu führen.

  3. Vielleicht ist die Religion gar nur das Opium, und gar nicht mehr. Religiöse Strukturen tauchen immerwieder auf und müssen gar nicht erst mit einer Gottheit (oder mehreren) zu tun haben.
    Religion fasst (für mich) die Art der Ausübung des Kultes zusammen und nicht, dass das Hauptstück des Kultes ein Gott sein muss.
    So ist es egal, ob sich die Religion dem Cäsar widmet, einer Fusballmanschaft, der ich als Fan im Stadion huldigen gehe, oder ebene einem archaischen Gott.
    Die Praktizierungsmethoden sind mehr oder weniger dieselben (wobei die Verbale interpretierung ein bisschen abstrakten Denkens (weil ungewohnt) bedarf).
    Die Religion an sich ist für mich also nicht zu kritisieren, denn sie ist auch mit der Aufklärung nicht vergangen; sie ist omnipräsent; ein a priorisches Zusammenlebenssystem. Was variert ist das im Zentrum stehende; und an dem kann man auch Kritik ausüben. Wer religiös ist kann m.e. nicht einfach diffamiert werden; denn wir alle sinds doch.

    Nur: hier stehn wir wohl wieder vor nem klassischen Wittgensteinischen Sprachproblem; in dem lediglich zu undefiniert scheint, was eine Religion ist, und was der Glaube (auch wenn wir dies zu erörtern versuchten an der Diskussion, kamen wir glaubich auf keine einheitliche Definition).

    Zum Wert/Nutzlosen Gott (die Aussage fand ich eine der spannendsten des Abends) möchte ich meine Interpretation anhand einer Forendiskussion erläutern.

    Dort meinte ein User zum Thema Gott und freier Wille:
    Er tut nicht alles, er tut alles, was die Menschen durch Gebet erbitten und er tun kann ohne den freien Willen des Menschen zu verletzten.

    und ich erwiederte darauf:
    Jeder Wechsel irgendwo ist nicht nur der Wechsel an sich, sondern eine Instanz, von der alles um diese Instanz abhängt.
    Leicht gesagt: Wenn ich mir schönes Wetter wünsche, dann bekräftigt das, bei Wunscherfüllung, evtl. jemand anderes dazu ein Eis zu kaufen: Aus eigenen Stücken.
    Sein freier Wille wurde beeinflusst.

    Es scheint geradezu logisch, dass jede freie Entscheidung lediglich das Ergebnis eines Summierens von Faktoren ist; auch gerade durch die Psychologie, die uns zeigte, dass Sachen, wie Objektfarbe, oder Werbetechnisch: Schriftart; Wortwahl… Menschen beeinflussen (und das mehr als man meint).
    Wo will Gott hier unbeeinflussend interagieren?
    Und auch wenn er es könnte; so, dass keine freie Wahl, seinen Summanden nach, auf die Gegenseite der Entscheidung kippt, so verändert es im Minimen doch die Intensität des freie-Wahl Summenresultats…

    Oder gib mal n konkretes Beispiel eines unabhängigen Eingriffes…

    Der müsste ja zusätzlich noch etwas so persönliches Sein, dass niemand anderes davon erfährt; die kann die „freie Entscheidung“ nämlich intensivst beeinflussen. Ich meine, wenn ich sehe, dass Gott dir n Wunsch erfüllt, und mir ned; dann kann ich plötzlich aus freien Stücken zu dir laufen und dich aus freien Stücken eliminieren wollen (weil du so n bevorzugter Kerl bist). Diese freie Entscheidung wäre aber eindeutig von Gott als Summand beeinflusst worden.

    Wenn also Gott nicht interagieren kann, dann ist es ein nutzloser Gott, denn dann ist er einfach, und so sehr du ihn auch anbetest, er macht nichts; er ist lediglich.
    Handelt er aber und reagiert auf Wünsche, so ist er Wertlos, weil er
    a) nicht mit den Naturgesetzen konkurriert, dann eindeutig aber als ledigliches Naturgesetz angesehen werden muss
    b) den Naturgesetzen entgegentritt (denn nur als Wunder kann Gott Gott sein).
    Wenn b) eintritt, dann wird der Gott insofern Wertlos, wie du seine Taten niemandem weiterbringen kannst. Du kannst davon erzählen, aber nur als „könnte so gewesen sein“-Fall. Er ist nicht aufzeigbar und verbleibt lediglich als Phänomen; als Wunder eben, das nicht mehr sein darf. Ein Wunder hat keinen essentiellen Wert, bis auf das, dass es dich persönlich bilden kann. Diese eventuelle Wundereinbildung kann dir aber nur (und das zutiefst berechtigt) als Unverständniss gegenüber wahren Gegebenheiten unterstellt werden, weil du die erklärenden Naturwissenschaften (noch) nicht kennen konntest und dir vertiefend noch mehr eingebildet hast.

    Ich finde die Variante sich seinen Gott selbst zusammenzustellen aber sehr toll.
    Er existiert dann zwar lediglich nur als subjektiv erschaffermenschabhängige Kleininstanz unter vielen möglichen, kann dir aber schon nur im Kopfinternen beisein bei dir halt geben, soals du eine Erklärung für etwas brauchst, das (nocht) nicht begründet vorgelet werden kann.

  4. Ich bin der Ueberzeugung, dass jede Religion oder jeder Glaube ein Resultat unsere menschlichen Verstandes ist. Tiere „denken“ wohl anders? Die Religionen sind Opium für das Volk, dienen also zur Beruhigung oder Erklärung vieler für in der Vergangenheit und heute auch noch unerklärliche Phänomene. In Bedrängnis ruft man gern einen „Gott“ um Hilfe. Man könnte aber auch einen Freund rufen,wenn man an Telepathie „glaubt“ (wie ich). Die Religionen entsprachen, entsprechen dem Bedürfnis der Menschen nach das Zusammenleben und Ueberleben ordnenden Organisationsformen oder „Spielregeln“. Auffallend sind in allen Religionen die „Nächstenliebe“ d.h. eine ausgeprägte soziale Hilfeleistung für die schwächeren Glieder eine Gruppe. Ich zahle heute noch Kirchensteuern, weil die Kirche mit ihren Sozialwerken vielerorts Hilfe leistet, wo der Staat versagt. Und gewisse Prozeduren, wie Heiraten in der Kirche, Taufe, Abdankung haben mit den Religionen dann einen romantischen Aspekt, eben opiumal. Eine säkularisierte Gesellschaft kann ohne Religion auskommen. Die Religionen haben aber immer eine gruppenbildende Faszination auf Menschen. Religionen können in Diktaturen die einzige organisierte Form der Opposition bilden, wie die kath. Kirche in Polen oder Ungarn im Kommunismus oder jetzt in Burma.
    Mich überrascht immer die Gottgläubigkeit alternder Philosophen oder Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften.
    Ich respektiere, wenn jemand gläubig ist, solange er mich nicht überzeugen, bekehren will.

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