Zur Auswahl standen drei Themen, die Entscheidung fiel auf einen Vorschlag, den ich schon im Netz eingebracht hatte und den ich daher wiederum gleich zitiere:
„Was soll man sich unter dem Bösen vorstellen?
Das Böse ist eine (moralische und theologische) Kategorie, die kultivierte Menschen in der Regel nicht mehr gebrauchen. Als negative Seite einer binären Unterscheidung scheint sie der Komplexität der Verhältnisse nicht gerecht zu werden. Deshalb vermeidet man sie lieber und betrachtet Leute, die sie nach wie vor gebrauchen, als geistig rückständig (vgl. Bushs Image). Trotzdem scheint es mir fraglich, ob sich die Kategorie einfach so erübrigt. Zum einen ist sie ja schlichtweg die Opposition zum (moralisch) Guten, auf das wir ja auch nicht einfach so verzichten wollten. Des weiteren könnte es ja auch eine elegante Art und Weise sein, sich seiner eigenen moralischen Verantwortung zu entziehen, wenn man Handlungsweisen mit negativen Absichten oder Folgen nur noch aufgrund struktureller Gegebenheiten und Notwendigkeiten beschreibt. Verliert man damit nicht jene Fälle aus den Augen, wo Menschen Dinge tun, die nicht anders als als böse zu bezeichnen sind? Oder gibt es das gar nicht?
Sofern man aber am Begriff des Bösen festhalten möchte, was hätte man sich darunter vorzustellen? Eine metaphysische Instanz, oder sogar eine Personifikation (der Teufel)? Oder ist das Böse nur das Fehlen des Guten oder schlicht ein Kriterium zur moralischen Beurteilung von Handlungen? Gäbe es das Böse nur unter Menschen, oder liessen sich damit auch andere Phänomene bezeichnen? Wo wäre der Sitz des Bösen zu verorten, woher stammt es, lässt es sich auf etwas anderes zurück führen? Und wie wäre damit umzugehen?“
Bevor sich das Gespräch der eigentlichen Fragestellung zuwandte, machte es einen kurzen Abstecher zur Theodizee-Frage. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie der Begriff aufkam, eventuell hatte ich ihn zur Erläuterung der Fragestellung eingebracht. Er gehört insofern in den weiteren Kontext der Fragestellung, als das Theodizee-Problem der Paradoxie nachgeht, wie es möglich ist, dass ein guter und allmächtiger Gott das Böse in seiner Schöpfung zulassen konnte. Dieses Problem versuchten wir jedoch nicht zu lösen, entsprechende Unternehmungen gibt es zum Beispiel bei Leibniz (mit der besten aller möglichen Welten) aber auch schon vorher (mehr hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Theodizee).
Die Diskussion zur eigentlichen Fragestellung wurde mit einem vernichtenden Verweis auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Evolution eröffnet, der darin mündete, dass man auf die Kategorie des Bösen verzichten könne und sie höchstens noch im religiösen Kontext zu gebrauchen sei. Was wir gemeinhin als moralisch gut oder böse bezeichnen, seien bloss evolutionäre Wirkungen.
Dagegen wurde jedoch eingewandt, dass man damit ein Beurteilungskriterium aus der Hand gebe, ohne das sich zwischen Hitler und Mutter Theresa kein Unterschied mehr machen liesse. Selbst wenn die darwinistische Betrachtungsweise gut und böse als Wirkungen der biologischen (und sozialen) Evolution erklären könnte, würde sie damit noch nicht die Perspektive der Menschen erübrigen, die ein solches Beurteilungskriterium in ihrem Alltag benötigten.
Ein weiterer Einwand gegen die wissenschaftlich-evolutionäre Position wurde in der Frage artikuliert, wie man denn gut und böse mit der Evolution überhaupt zusammen zu denken habe. Einige Voten schienen nämlich zunächst eine Gleichsetzung des Bösen mit dem zu implizieren, was aus evolutionärer Sicht schlicht ein Fehler wäre. Das Böse wäre somit das, was dem Überleben abträglich wäre. Bei genauerer Betrachtung erwies sich diese Annahme aber als problematisch. Denn sofern es ja als böse eingestufte Handlungen gebe, müsse aus evolutionärer Sicht geschlossen werden, dass das Böse (sprich: Egoismus) durchaus auch der nötigen „Fitness“ entsprechen und damit dem Überleben zuträglich sein könne. Somit wäre die Differenz zwischen gut und böse nicht deckungsgleich mit evolutionär „angepasst“ und „nichtangepasst“.
Diese Problematik lässt sich auch an der Geschichte illustrieren. Hier wird deutlich, dass die „Fitness“ bzw. Angepasstheit an die Umwelt den Charakter des Zufälligen hat. Je nach den gerade gegebenen situativen Umständen erweist sich eher diese oder jene Lebensform als besser angepasst. Es gibt keinerlei in der Evolution liegende Notwendigkeit, die für die eine oder die andere Entwicklung spräche. Das bringt so unliebsame Konsequenzen mit sich, dass die Geschichte zwar den Nationalsozialismus als unfit disqualifiziert hat, dass aber zugleich etliche ebenfalls moralisch verwerfliche Herrschaftssysteme relativ lange bestehen konnten und damit den evolutionären Segen der Geschichte erhielten und weiter erhalten. An solchen Beispielen wird deutlich, dass unser moralisches Urteil eine gewisse Unabhängigkeit und allgemeinverbindliche Notwendigkeit aufweist, die quer zum evolutionären Kriterium des zufälligen Überlebens steht. Daher wandten wir uns der Frage zu, ob und was sich denn vom Bösen begrifflich festhalten liesse, ohne gleich wegreduziert zu werden.
Ein erster Beitrag verwies in diesem Zusammenhang auf religiöse Weltanschauungen, die davon ausgehen, dass wir uns gegenwärtig kurz vor der Apokalypse beziehungsweise der entscheidenden Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse befänden. Die VertreterInnen solcher Weltanschauungen gingen durchaus von einem real existierenden Bösen aus und würden das Böse gegenwärtig überall vermuten, ohne dass es als solches sichtbar sei. Das ginge bis in die Weltpolitik, die nach diesem Schema wahrgenomen und geführt werde. Eine solche Weltanschauung nimmt somit gerade den diametral entgegen gesetzten Standpunkt zur evolutionären Position ein, da sie die Oppositon von gut und böse als elementare Wahrnehmungs- und Beschreibungskategorie gebraucht.
Mit einer solchen Auffassung des Bösen schienen sich die meisten Anwesenden jedoch schwer zu tun. Es wurde daher ein Einwand laut, der quasi eine Metareflexion ins Spiel brachte und von einer linguistischen Beobachtung ausging. Und zwar entzündete sich der Widerspruch an dem Nomen „das Böse“. Der Gebrauch dieses Nomens sei insofern problematisch, als es eine Substanzialität des Bösen (vielleicht im Sinne einer existierenden Macht oder sogar einer Personalität wie der des Teufels) nahe lege. Die erwähnten religiösen Weltanschauungen scheinen genau diese Folgerung zu ziehen. Das sei jedoch eine unnötige Annahme, zu der uns die Sprache verleite. Stattdessen wäre es sinnvoller, von gut und böse nur im Zusammenhang mit Handlungen zu sprechen. Das Böse, sofern man das Nomen überhaupt noch gebrauchen wolle, sei daher nur als eine Eigenschaft zu denken, die man Handlungen attributiv zuschreiben könne (Also z.B.: „Es ist böse, den Angestellten den Lohn zu kürzen und zugleich sich selbst eine Gehaltserhöhung zu gewähren.“).
Damit kam jedoch die Frage nach der Subjektivität und Relativität des Bösen auf. Denn sofern man „gut“ und „böse“ nur noch als Attribute versteht, kann man sie nur noch in Urteilen (wie dem obigen Beispiel) verwenden. Und sobald man es mit Urteilen zu tun hat, hat man es auch mit allen jenen erkenntnistheoretischen Fragen nach der Möglichkeit von objektiver Erkenntnis zu tun. Denn insofern Urteile Aussagen über die Welt sind, beanspruchen sie wahr sein zu können.
Die folgende Auseinandersetzung drehte sich dementsprechend relativ lange um die Frage, ob und inwiefern es das Böse (jetzt aber nur noch attributiv als Eigenschaft verstanden) geben könne, was man sich darunter vorzustellen habe und inwiefern es „absolut“, objektiv oder eben bloss subjektiv und relativ zu denken sei.
So wurde sehr bald darauf hingewiesen, dass Urteile ja immer die individuelle Perspektive der Urteilenden wiedergäben, weshalb es mit Objektivität nicht weit her sein könne. Dieser Skepsis wurde mit der Frage begegnet, ob die Annahme, dass es in der Welt gute Dinge gebe, nicht auch impliziere, dass es genauso böse Dinge gebe. Zudem scheint die postulierte Relativität von Werturteilen ziemliche Probleme zu bereiten, da die Menschen gewisse gemeinsame Werte teilen müssen, wenn sie miteinander auskommen wollen.
Die Diskussion wandte sich der Frage zu, wie wir überhaupt zu moralischen Urteilen gelangen. Gibt es für diese Form des Wissens auch Fachleute, die über besondere Kompetenzen verfügen, oder handelt es sich dabei um ein Wissen, dass jedem und jeder zugänglich ist? Zunächst wurde der Vorschlag diskutiert, ob die moralische Erkenntnis eine Form von Intuition beinhalte, die einen anschaulichen Zugang zur Wahrheit erlaube. Eine moralische Einsicht würde sich einem quasi wie durch einen eigenen Wahrnehmungskanal offenbaren. Es zeigte sich jedoch, dass es keinen grossen Unterschied macht, ob dies der Fall ist oder nicht. Zwar würde dieses Modell eine objektive Erkenntnis des Bösen zulassen, aber diese Objektivität könnte wiederum eingeschränkt und subjektiviert werden, da diese Intuition nicht allen gleichermassen (sondern vielleicht nur ein paar „Weisen“) zugänglich sein müsste und da die gewonnene Einsicht bei jedem Individuum mit dessen übrigen Überzeugungen und Vorstellungen vermengt und somit verzerrt werden würde.
Im Anschluss an diesen Vorschlag wurde Kants Behauptung eingebracht, dass das moralische Urteil allen vernunftbegabten Wesen zugänglich sei, ohne dass man dazu Moralphilosophie studiert zu haben braucht. Dieser Hinweis, der eigentlich den Gedanken der moralischen Intuition stärken wollte, führte zur Erwähnung des kategorischen Imperativs, von dem es verschiedene Formulierungen gibt. Die gebräuchlichste lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Unter einer Maxime ist hier eine persönliche Handlungsregel zu verstehen. Der kategorische Imperativ soll nach Kant eine Prüfung unserer Handlungen hinsichtlich ihrer moralischen Qualtität erlauben, die jeder und jede vornehmen kann. Dahinter steht der Versuch, von der Subjektivität unserer individuellen Absichten zur allgemein verbindlichen Objektivität von moralischen Geboten zu gelangen. Die Brauchbarkeit des kategorischen Imperativs wurde jedoch in der Diskussion heftigst bestritten, da er es auch zulasse, völlig subjektive und bösartige Absichten zu objektivieren, da die Zustimmung letztlich wieder an das Subjekt geknüpft sei. (Ich hoffe, dass ich den Einwand halbwegs korrekt wiedergebe…) Am Beispiel der Nazis wurde erörtert, ob ein Nazi (z.B. Eichmann) auch davon hätte ausgehen können, dass sein Handeln mit dem kategorischen Imperativ verträglich sei. Zur Verteidigung des kategorischen Imperativs wurde ins Feld geführt, dass man zumindest von jemandem, der oder die sich nicht einmal an diese Regel halten wolle, sagen könne, dass es sich dabei um eine böse Person handle. Mangels ausreichender Kenntnis der theoretischen Grundlagen zum kategorischen Imperativ verzichteten wir aber darauf, uns weiter mit ihm auseinander zu setzen. (Im Zusammenhang mit Kants Moralphilosophie wurde jedoch noch ein weiterer Gesichtspunkt gestreift, bei dem es um die moralische Beurteilung geht. Wenn gut und böse in moralischen Urteilen als Attritbute gebraucht werden, bleibt noch zu klären, ob diese Urteile über den Willen bzw. die Absichten einer Person oder ob sie über die Handlung oder über die resultierenden Folgen gefällt werden. Bei Kant ist es offenkundig der Wille, über den geurteilt wird.)
Trotz der vorgenommenen Einschränkung auf moralische Urteile wurde von einigen TeilnehmerInnen weiterhin für den Verzicht auf die Kategorie des Bösen plädiert. Der Grund dafür sei der implizite Absolutheitsanspruch, der darin immer mitschwinge. Es stellte sich daher die Frage, welche Alternativen uns dann noch blieben, um Handlungen zu beurteilen. Liefe der Verzicht auf die Opposition von gut und böse nicht auf einen ebenso absoluten Relativismus hinaus? Diesem Einwand wurde mit einer Vertragstheorie begegnet: Die intersubjektive Abstimmung unter den Individuen käme über Absprachen und Abmachungen zustande, wodurch ein absoluter Relativismus gebannt wäre. Werte bestünden eben gerade in gesellschaftlichen Konventionen, die teilweise übernommen werden, zugleich aber auch ständig weiter entwickelt und neu verhandelt werden müssten. Doch lässt auch eine solche Lösung gewisse Punkte offen, beispielsweise wenn es darum geht, nach welchen Kriterien den diese Abmachungen getroffen werden sollen.
Die Auseinandersetzung um Subjektivität oder Absolutheit wurde daraufhin durch eine Metareflexion unterbrochen, die etwas Klärung zu bringen versuchte. Sie zeigte, inwiefern sich die Objektivität von Werten und die Subjektivität von Urteilen kombinieren liesse. Die Überlegung geht davon aus, dass zwischen der Existenz (Ontologie) und dem Erkennen (Epistemologie) von Werten unterschieden werden kann und muss. Wird dies zugestanden, so kann man problemlos behaupten, dass es gut und böse objektiv (und vielleicht sogar „absolut“) gibt, dass es aber aufgrund unserer limitierten Erkenntnisfähigkeiten nie möglich sein wird, eine absolut objektive Erkenntnis davon zu erlangen (Vgl. die obige Erörterung zur Intuition von moralischen Urteilen). Es stellt somit einen Fehlschluss dar, wenn man von der Subjektivität des Erkennens auf die Subjektivität der Existenz von Werten schliesst. Sofern man an eine objektive oder zumindest anthropologisch universelle Gegebenheit von Werten glaubt, hätte man zumindest einen Anhaltspunkt für deren Erkenntnis.
Diese Ausführungen konnten jedoch den radikalsten Befürworter der Abschaffung von gut und böse nicht zufrieden stellen, da seine Forderung weiter ging. Er insistierte darauf, dass die Kategorie schlichtweg überflüssig sei. Mit Verweis auf das methodische Postulat Ockhams, Theorien so einfach wie möglich zu halten und Unnötiges wegzulassen („Ockhams Rasiermesser“), beharrte er darauf, dass wir ebenso gut ohne diese Begriffe auskommen könnten. Doch gerade das wurde ihm nicht ganz abgenommen. Denn wie sollte man Dinge wie den Holocaust beschreiben und beurteilen, ohne auf diese Kategorien zu rekurrieren? Die evolutionäre Perspektive bot da allerhöchstens die Unterscheidung von „richtig“ und „falsch“ an. Aber wodurch sollte sich diese gegenüber jener von „gut“ und „böse“ auszeichnen? Aufgrund welches Kriteriums sollte sie vorgenommen werden? Wäre die Differenz von gut und böse nicht eben genau für jene Fälle beizubehalten, die anderweitig nicht angemessen begriffen werden können, wo uns andere Erklärungen fehlen?
Daraufhin wurde argumentiert, dass die Unterscheidung von gut und böse auch darum unbrauchbar sei, weil sie aufgrund ihrer binären Einteilung der Komplexität der Welt nicht gerecht werde. Hierauf wurde erwidert, dass Handlungsentscheidungen jedoch durchaus binären Charakter aufwiesen. Beispielsweise wenn wir uns vor einer unbeaufsichtigten Ladenkasse sähen und das Geld mitnehmen könnten, ohne fürchten zu müssen, ertappt zu werden. Das Beispiel wurde jedoch nicht gelten gelassen bzw. es wurde dagegen gehalten, dass bei jeder Entscheidung komplexe Güterabwägungen zum Tragen kämen, bei denen gut und böse nur eine nebensächliche Rolle spielten. Immerhin wurde jedoch eingeräumt, dass so etwas wie eine moralische Beurteilung wohl nicht verzichtbar sei. Statt von gut und böse zu sprechen, sollten negative moralische Urteile jedoch Formulierungen wie „moralisch verwerflich“ gebrauchen. Damit könne die auf eine übersinnliche Transzendenz verweisende Absolutheit des Bösen vermieden werden. Ob damit die binäre Dichotomie vermieden wird, ist jedoch fraglich.
Ebenfalls ungeklärt schien die Frage, ob durch diese neue Sprachregelung auch alle Phänomene benannt werden können, die zuvor mit der dem Bösen bezeichnet wurden. Hier öffnete sich die Erörterung nochmals über die vorgenommene Einschränkung auf eine rein moralische Eigenschaft hinaus und nahm jene Phänomene in den Fokus, die eine eher substanzialistische Auffassung des Bösen begünstigen. Also das Böse als eine Kategorie für das absolut Unfassbare, Grauenhafte und Unerklärliche in der Welt, das sich in Geschehnissen wie dem Holocaust oder in den Taten von „Schlächtern“ und SerienmöderInnen zeigt. Können wir derlei Dinge mit „moralisch verwerflich“ angemessen bezeichnen oder wäre hier nicht die Kategorie des Bösen gerade gut genug? Aber vielleicht sollten solche Dinge einfach in ihrer Unfassbarkeit stehen gelassen und nicht weiter beurteilt werden. Doch würde man damit nicht alles Unfassbare gleichsetzen, während wir ja nicht alles Unfassbare als böse bezeichnen? Es scheint, dass jene Dinge, die wir zugleich als unfassbar und als böse bezeichnen das gemeinsam haben, dass sie unsere elementaren Werte untergraben.
Das Gespräch drehte sich weiter um die Frage nach der Angemessenheit von begrifflichen Kategorien bei der Beschreibung der Welt. Zunächst verfolgten wir die Fährte weiter, ob ein Verzicht auf gut und böse überhaupt gangbar wäre. Was würde es uns kosten, auf die Unterscheidung zu verzichten? Würde es genügen, stattdessen häufiger den Dialog zu suchen und die Dinge differenzierter und präziser zu beschreiben? Und würde uns nicht die Grundlage für politische Aktion und Änderung entzogen, wenn gewisse Machenschaften nicht mehr klar als böse etikettiert werden könnten? Inwiefern stellt die Opposition von richtig und falsch tatsächlich eine bessere Alternative dar und nicht einfach nur einen billigen rhetorischer Trick? Mit diesen Überlegungen ging die schon angesprochene Frage einher, in welchem Mass unsere sprachlichen Kategorien und Theorien zur Beschreibung der Welt bloss konventioneller Natur und somit relativ seien und inwieweit sie eben doch auch durch die inhärenten Merkmale der Dinge bedingt seien. Konkret wurde die Frage gestellt, ob es eben in der Welt vielleicht nicht wirklich etwas gibt, das die Eigenschaft böse zu sein unabhängig von unserern Zuschreibungen aufweist. In welchem Mass sind unsere Kategorien Projektionen auf die Welt und in welchem Mass können wir die Welt nicht mehr präzise beschreiben, wenn wir auf bestimmte Kategorien verzichten?
Des weiteren wurde erneut diskutiert, ob die Kategorien von gut und böse aufgrund ihrer binären Opposition für eine differenzierte Beschreibung ungeeignet seien. So lautete zumindest der zuvor gemachte Einwurf. Dagegen wurde jedoch erwidert, dass man die binäre Struktur gerade auch im Sinne der Theorievereinfachung (vgl.o. Ockhams Rasiermesser) für angemessen halten könnte, um komplexere Theoriekonstrukte vermeiden zu können. Zudem ist nicht erwiesen, dass es bei dieser Einfachheit bleiben muss (die mittelalterliche Theologie kannte wahrscheinlich ziemlich komplexe Ausdifferenzierungen dessen, was als wie böse zu betrachten sei). Diese Überlegungen führten wiederum zu einer erkenntnistheoretischen Metareflexion darüber, woran wir festmachen können, ob wir eine differenzierte oder eine simple Weltbeschreibung vorziehen sollen. Setzt die Entscheidung für eine der beiden Optionen nicht auch schon wieder eine binäre Einteilung voraus und weshalb sollte eine der beiden Optionen „richtig“ oder „falsch“ sein sollte? Wie auch immer man sich hier letztlich entscheidet, es zeigte sich in der Diskussion je länger desto mehr, dass die Unterscheidung von gut und böse selbst auch nur eine Option unter anderen ist, mit welchen Begriffen man die Welt beschreiben möchte. So scheint es, dass es sich dabei um eine Beschreibungsweise handelt, die sich aufgrund ihrer Einfachheit leicht handhaben lässt (weshalb sie wohl besonders bei einfach gestrickten Gemütern grossen Anklang findet). Das heisst, sie weist bei aller Ungenauigkeit einen pragmatischen Vorteil gegenüber komplexeren Theorien auf und sie kann situativ als brauchbares Erklärungsmuster dienen, wo sich noch keine anderen Erklärungen finden oder diese im aktuellen Kontext zu weit führen würden. Ob sich die Problematik tatsächlich auf diese pragmatischen Gesichtspunkte reduzieren lässt, wäre jedoch noch weiter abzuklären. Schliesslich lassen sich ja auch komplexe Theorien auf simple Prinzipien runter brechen und so könnte die Unterscheidung von gut und böse ebenfalls als eine solche Vereinfachung betrachtet werden (der eine komplexere Weltanschauung zugrunde liegt).
Tendenziell lässt sich abschliessend wohl festhalten, dass Leute, die eine subjektive und relativistische Auffassung von Erkenntnis favorisieren, auch dazu tendieren, die Kategorien von gut und böse abzulehnen. Darin artikuliert sich das Misstrauen gegenüber der „Absolutheit“, die mit diesen Kategorien assoziert wird. Zwar wurde in der Diskussion wiederholt bestritten, dass diese Absolutheit gegeben sei, da es durchaus möglich sei, ein Urteil von gut und böse abzugeben und zugleich die Subjektivität dieses Urteils zuzugeben. Doch scheint der Absolutheitsvorwurf auch mit dem binären Charakter der Unterscheidung zu tun zu haben, der ein Entweder-Oder-Denken impliziert, dass die graduellen Unterschiede in der Welt nicht angemessen wiedergibt. Die Wortführer zugunsten der Beibehaltung der Kategorien von gut und böse versuchten zwar, diese Annahme als irrig abzutun, da man auch in Dingen der moralischen Beurteilung von einem Mehr-Oder-Weniger sprechen könne, sie schienen die Bedenken der KritikerInnen der Kategorie damit aber nicht zerstreuen zu können.
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Zitat: „Mit Verweis auf das methodische Postulat Ockhams, Theorien so einfach wie möglich zu halten und Unnötiges wegzulassen („Ockhams Rasiermesser“), beharrte er darauf, dass wir ebenso gut ohne diese Begriffe auskommen könnten.“
Soweit ich das Messer verstanden habe geht’s doch nicht darum eine Theorie einfach zu halten, sondern eine Theorie überhaupt gangbar zu machen. Die Klinge schnippelt nicht die komplizierten Erweiterungen weg, die ehh nicht gebraucht werden, sondern schnippelt das weg, was lediglich aus Annahmen besteht. Somit bastle ich mir dank dem Rasiermesser mein Wahrheitskonstrukt entsprechend dem, was ich nicht nur Annehme, sondern irgendwo verifizieren kann.
Habe ich das Rasiermesser missinterpretiert? Bzw. kann mich wer aufklären?
Und so weit ich das Messer verstanden habe, schliesst das eine (Einfachheit) das andere (Gangbar- bzw. Brauchbarkeit) nicht aus respektive die Einfachheit würde die Handhabbarkeit gerade erst ermöglichen. Das hiesse somit eigentlich schon, dass die Erweiterungen weggeschnipselt werden, die es nicht braucht. Wobei zu ergänzen wäre, dass Ockhams Rasiermesser vor allem im Vergleich von verschiedenen Theorien zum Zug kommt.
Was die Annahmen betrifft, so muss man festhalten, dass ja jede Theorie zunächst aus Annahmen (Hypothesen) besteht. Und im besten Fall lassen diese sich dann eben veri- oder falsifizieren. Annahmen, die sich nicht falsifizieren lassen, laufen aber sicher eher Gefahr Ockhams Klinge zum Opfer zu fallen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ockhams_Rasiermesser
Das leuchtet mir ein.
Doch eine Annahme, auf der die Theorie basiert darf nicht wiederum auf Annahmen beruhen, sondern auf „sicheren Werten“, da schneidet Ockham doch weg.
Sprich: Wenn ich annehme, dass x so ist, und daraus schliessend annehme, dass irgendetwas anderes ist, dann ist Prämisse 1 (x existiere) keine Gangbare Prämisse.
Ockham schnipselt also nicht die Annahme der Theorie weg, sondern angenommene Prämissen.
Aber jetzt wo ich’s nochmals durchlese stet das mit deiner Aussage ja nicht im Gegensatz.
Relativisten können sowieso nie von nicht-Annahmen ausgehen.
Also ich bin jetzt nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Aber so weit ich das sehe, sollten wir Prämissen nicht mit Hypothesen verwechseln. Beide können als Annahmen betrachtet werden. Prämissen werden bei der Theoriebildung jedoch nicht mehr als fragwürdig betrachtet, sondern gerade umgekehrt als vorausgesetzt bzw. gegeben. Sie stellen die Grundlage für die Hypothesenbildung dar. Ob sie tatsächlich gesichert sind oder nicht, wird innerhalb einer Theorie in der Regel nicht erörtert, dafür ist wieder eine andere Theorie zuständig (Es gibt philosophische Positionen wie z.B. der kritische Rationalismus, die davon ausgehen, dass es keine endgültig begründeten Annahmen gibt. Alles was wir daher tun könnten, sei, die bestehenden Annahmen zu überprüfen, indem wir sie zu widerlegen versuchten). Daher können Prämissen eigentlich nicht wirklich der Ockhamschen Klinge zum Opfer fallen, da sie nicht den eigentlichen Gehalt einer Theorie ausmachen. Dieser besteht in der Erklärung, die die Hypothese bildet. Möglicherweise kann sich jedoch eine Prämisse als überflüssig erweisen, wenn sie durch eine andere ersetzt werden kann.
http://de.wikipedia.org/wiki/Abduktion_(Wissenschaftstheorie)#Wissenschaftstheoretische_Bedeutung
http://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Rationalismus