Zur Diskussion standen drei Themen. Das Rennen machte die oben genannte Fragestellung. Ich hatte sie schon im Netz platziert, so dass die meisten Anwesenden sie schon kannten. Um die Problematik darzustellen, musste ich etwas ausholen, da sie die Kenntnis gewisser wissenschaftlicher Auffassungen impliziert. Zitat:
„Im naiv-alltäglichen Verständnis gehen die meisten Leute davon aus, dass es so etwas wie Authentizität gibt und dass es sich dabei um einen erstrebenswerten Zustand handelt. Statt von Authentizität wird manchmal auch von Eigentlichkeit geredet, oder davon, dass man bei sich bzw. sich selbst ist. Diese Redeweise scheint davon auszugehen, dass es so etwas wie ein wahres oder echtes Selbst gibt, das häufig von einem falschen oder oberflächlichen Selbst verdeckt wird und das man daher zu suchen und dem man treu zu sein hat. Beim entgegen gesetzten Zustand spricht man häufig auch von Künstlichkeit oder Entfremdung.
Diese Vorstellung von Authentizität ist relativ verbreitet und scheint ihre Grundlage in persönlichen Erfahrungen bzw. Beobachtung zu haben. Sie geriet im Zuge der EssentialismusKritik des letzten Jahrhunderts zunehmends in Verruf. Seit wir wissen, dass wir im gesellschaftlichen Kontext immer – auch in den intimsten Beziehungen – soziale Rollen (Lehrerin, Sohn, etc.) spielen, dass wir unser ‚Innenleben’ immer mit Medien (Sprache, technische Medien etc.) artikulieren, äussern und kommunizieren müssen und seit in der Philosophie der Rekurs auf ein definierbares Wesen (des/eines Menschen) in den Totalitarismusverdacht geraten ist, scheint der Glaube verpönt zu sein, dass es hinter diesen Masken und Medien noch etwas davon Unabhängiges geben könne, worauf man hinzielen soll und dem man etwas schuldig sei. Versteht man Kultur als zeichenvermitteltes, reflexives Abstandnehmen von der Natur, so müsste man behaupten, dass Authentizität dem Kulturtier Mensch bloss noch als sehnsüchtige Erinnerung an einen verlorenen Zustand gegeben ist, ihm als erlebbare Wirklichkeit aber letztlich verwehrt bleibt.
Die Relevanz der Fragestellung ergibt sich für mich folglich aus der Kluft, die zwischen philosophisch und wissenschaftlicher Kritik am Authentizitätskonzept einerseits und der persönlichen Erfahrung von Echtheit bzw. Künstlichkeit oder Entfremdung andererseits besteht. Wie lässt sich diese Kluft angemessen interpretieren? Lässt sich ein Authentizitätsbegriff denken, der mit der genannten Kritik verträglich ist? Was spricht für und was gegen Authentizität?“
Da die Kritik am Authentizitätsbegriff auf bestimmten wissenschaftlichen Auffassungen beruht, versuchte ich eingangs, diese Auffassungen nochmals zu präzisieren, was mir jedoch nicht leicht fiel, da es sich dabei um sehr unterschiedliche Quellen handelt. Ein gemeinsames Merkmal dieser Theorien ist die prinzipielle Feststellung, dass unser Handeln immer von sozialen, und damit „äusserlichen“ Mustern und Regeln geformt ist. Dies ist selbst dann der Fall, wenn wir gar nicht sozial interagieren, also auch wenn wir alleine sind.
Eines der besten Beispiele hierfür ist die Sprache. Die Sprache ist ein Regelapparat von äusserlich wahrnehmbaren Zeichen, deren Funktionieren auf gesellschaftlicher Konvention basiert. Wer sich nicht daran hält, beispielsweise weil sie einen völlig individuellen Wortschatz gebraucht, kann nicht erfolgreich kommunizieren. Nun ist es jedoch sehr fraglich, ob wir, wenn wir für uns alleine sind und uns nur unsere eigenen Gedanken machen, ohne die Sprache auskommen. Tendenziell wird in der Philosophie und anderen sich damit beschäftigenden Wissenschaften davon ausgegangen, dass ein Denken ohne Sprache gar nicht möglich ist. Dies würde heissen, dass wir immer mit diesen konventionellen Regeln und Mustern operieren müssen. Dann stellt sich die Frage, ob es jenseits dieser sozialen Muster noch etwas Ursprünglicheres gibt, das uns als Individuen ausmacht, oder eben nicht.
Ein anderes Beispiel für den gemeinten Sachverhalt bietet das gesellschaftliche Rollenverhalten. Wenn wir mit anderen Menschen zu tun haben, bewegen wir uns gewöhnlich immer in bestimmten Rollen, die von der Gesellschaft vorgesehen werden. Diese Rollen bestehen aus bestimmten allgemeinen Erwartungen an unsere Verhaltensweisen, sie beinhalten sozusagen die Spielregeln für den gesellschaftlichen Umgang. Dazu gehören neben so offensichtlichen Beispielen wie den berufsspezifischen Handlungsweisen (Pfarrerin, Arzt etc.) auch Beziehungsrollen (Ehepartner etc.) oder situationsspezifische Rollen (Hotelgast, DiskussionsteilnehmerIn etc.). Auch hier lässt sich fragen, ob wir nicht ganz in diesen Rollen aufgehen, oder ob es noch etwas – ein davon unabhängiges Selbst – jenseits davon gibt, das für die Authentizität unseres Handelns bürgt.
Während der Diskussion bezogen wir uns meistens auf die sozialen Rollen als Gegenpol der Authentizität, bisweilen war es jedoch auch etwas unscharf, was das Gegenteil der Authentizität bildete. Das hatte vor allem damit zu tun, dass wir das Augenmerk auf die Frage nach der Möglichkeit von Authentizität legten.
Die eigentliche Debatte wurde mit einem Bekenntnis zu deren Möglichkeit eröffnet. Dabei wurde gleich eine Position formuliert, die im weiteren Verlauf einen der Extrempunkte einnahm. Das Plädoyer enthielt zum einen die Überzeugung, dass es etwas gebe, dass unabhängig vom Wechsel der sozialen und der biografischen Kontexte sich gleich bleibe, und zum anderen die Überzeugung, dass dieses konstante Element in uns den Charakter von etwas Vorbestimmtem hat. Auf die Frage hin, woher diese Vorbestimmung stamme, wusste die betreffende Person keine schlüssige Antwort zu geben. Sei es, dass sich darin ein göttlicher Wille oder ein natürliches Programm äussere. Auf jeden Fall schien die Vertreterin dieser Auffassung darin die Erklärung dafür zu finden, dass es ihr keine Probleme bereitete, sich in verschiedenen Handlungskontexten konstant und authentisch zu verhalten.
Die Aussage, man verhalte sich immer gleich, scheint von einigen Annahmen auszugehen, die wir auch im Alltag häufig hegen und die man wahrscheinlich bis zu Rousseau zurück verfolgen könnte. Das ist zum einen die Vorstellung, dass gesellschaftliche Konventionen und Handlungsmuster unsere „natürlichen“ Verhaltensweise nicht bloss einschränken, sondern geradezu verfälschen. Dahinter steckt die wohl Überzeugung, dass allgemeine Verhaltenskonventionen per se etwas Negatives sind, weil sie uns oberflächliche, starre und hohle Regeln aufzwingen, die uns anders handeln lassen, als wir eigentlich für richtig hielten. Daher nimmt man an, dass es unter dieser Zwangsjacke der Zivilisation noch ein unverfälschtes und damit auch rechtschaffenes Selbst geben muss, das in dem Moment zum Vorschein käme, wo man es von den negativen sozialen Einflüssen befreien würde. Die zweite, damit einhergehende Vorstellung besteht darin anzunehmen, dass es Situationen gibt, wo man keinen Rollenerwartungen ausgesetzt ist, respektive dass man in jenen Situationen, wo es sie gibt, sich von ihnen lösen und unabhängig davon verhalten kann. Denn nur wo man völlig frei von konventionellen Erwartungen ist, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich mit sich selbst „gleich“ zu verhalten.
Es ist jedoch sehr fraglich, ob es wirklich Situationen ganz ohne Rollenerwartungen gibt, oder ob es sich nicht bloss um graduelle Unterschiede zwischen in hohem Masse ritualisierten Kontexten (z.B. Beerdigung) und Situationen gibt, in denen der Spielraum für respektive der Zwang zur individuellen Improvisation sehr gross ist (z.B. zufällige Begegnung auf der Strasse). Genauso fraglich ist es, ob wir tatsächlich völlig unabhängig von den jeweiligen Rollenerwartungen handeln können, ohne Gefahr zu laufen, dass wir als Irre betrachtet und nicht mehr ernst genommen werden. Sollte die Möglichkeit von Rollenkonventionen völlig absehen zu können aber blosse Utopie sein – und gerade das behauptet ja die wissenschaftliche Auffassung, wenn sie darauf verweist dass soziale Interaktion nur mittels allgemeiner und standardisierter Verhaltensmuster möglich ist –, sollten wir also immer vor dem Hintergrund von unausgesprochenen aber trotzdem vorausgesetzten Verhaltensmustern handeln müssen, dann muss Authentizität anders verstanden werden. Authentizität kann dann nicht heissen, dass man sich einfach so verhält, wie man ist, weil man frei von Erwartungen und folglich auch automatisch authentisch ist.
Wie sich Authentizität stattdessen denken liesse, wurde im Anschluss an das Eingangsstatement formuliert, indem darauf hingewiesen wurde, dass authentisches Verhalten nicht damit gleichgesetzt werden müsse, dass man sich in den unterschiedlichsten Kontexten immer gleich beziehungsweise unabhängig von Rollenerwartungen verhält. Es sei auch durchaus denkbar, dass man situationsspezifisch reagieren, also auf die impliziten Rollenerwartungen eingehen und trotzdem authentisch handeln könne. Das authentische Moment liege dann genau darin, dass man sich dafür entscheide, dieses oder jenes Rollenverhalten anzunehmen und es in dieser oder jener Weise auszufüllen (oder es halt auch einmal bewusst zu brechen). Das ist ein anderes Sich-Gleich-Bleiben, das nicht von der Allgegenwart sozialer Handlungsmuster abzusehen versucht, sondern – quasi einen Schritt zurück versetzt – sich gerade im bewussten und selektiven Umgang mit diesen Handlungsmustern konstituiert. Damit bleibt natürlich die Frage nach der Herkunft dieser wählenden Urteilsinstanz noch ungeklärt.
Die diametrale Gegenposition zur Auffassung eines gegebenen und vorbestimmten Selbst, das einen sicher durchs Leben geleitet, bestritt die Existenz eines solchen Selbst und vertrat daher auch die Ansicht, dass das Reden von Authentizität einem Irrtum unterliege. Authentizität im gemeinüblichen Sinn könne es nicht geben, da unser Selbst keine feste und sich gleich bleibende Grösse sei. Das, was wir als unser Selbst bezeichneten, sei das Resultat eines Prozesses, der nicht abgeschlossen sei, so lange wir neuen Erfahrungen ausgesetzt sind. Dieses Selbst ist daher durch biografische und gesellschaftliche Faktoren geprägt, weshalb es von einem Gesprächsteilnehmer auch als „Erfahrungskoloss“ bezeichnet wurde (womit man diese Position in der Tradition des Empirismus verorten könnte). Es gibt an ihm faktisch nichts, das nicht durch äussere Einflüsse zustande gekommen sei. In letzter Konsequenz sei dieses Selbst also völlig relativ, da es nicht durch eine innere Notwendigkeit bestimmt sei. Deshalb sei es nicht angebracht eine Gegenüberstellung von eigentlichem und gesellschaftlich-künstlichem Selbst zu konstruieren. Gemäss dieser Auffassung trifft man in sozialen Kontexten seine Rollenentscheidungen somit anhand dieses biografischen Selbst.
Hier wurde jedoch kritisch nachgefragt, ob ein solches relatives, vom Leben geformtes Selbst überhaupt noch die Erfahrung von Authentizität zulässt (also nicht Authentizität als Konzept, die ja explizit bestritten wird, sondern deren Erfahrung). Diese Erfahrung scheint ja insbesondere in schwierigen Entscheidungssituationen relevant zu sein, wenn wir zwischen (mindestens) zwei unterschiedlichen Handlungsoptionen zu wählen haben. Häufig erleben wir diese Entscheidungskonflikte als Hinundhergerissenheit zwischen einer Handlungsweise, die sich aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen aufdrängt, und einer Handlungsweise, der wir aufgrund unserer in¬neren ethischen Überzeugungen oder persönlichen Neigungen näher stehen. Wählen wir die zweite Handlungsweise und nicht die als oberflächlich oder moralisch zweideutig eingeschätzte, so empfinden wir das als authentisch (vergleiche beispielsweise die Entscheidung des Hauptprotagonisten Lester Burnham in American Beauty, seinen Job und seine Karriereambitionen zugunsten eines lustorientierten und gegenwartsbezogenen Lebens zu schmeissen). Die Erfahrung von Authentizität scheint daher so etwas wie eine innere Instanz vorauszusetzen, mit der wir beurteilen können, ob ein Verhalten nun authentisch ist oder eben nicht. Dass wir diese Instanz als zu unserem innersten Selbst gehörig betrachten bzw. sie mit diesem gleich setzen, scheint wiederum darauf zu basieren, dass sie eine kontinuierliche, d.h. über die Zeit hinweg gleich blei¬bende Identität hat.
Das Problem, das sich beim biografischen respektive empirischen Selbst somit stellt, ist seine Relativität. Denn einem veränderlichen und von äusseren Einflüssen abhängigen Selbst fehlt der über die Zeit hinweg gleich bleibende Kern, der einem als absolut verstandenen Selbst zukommt. Nun scheinen wir die Echtheitserfahrung daran festzumachen, dass es einen solchen unveränderlichen Kern unseres Selbst gibt (womit man die „authentizitätsgläubige“ Position wohl eher in einer platonisch-idealistischen oder halt auch essentialistischen Tradition ansiedeln könnte). Denn wenn unser Selbst ein rein relatives Ergebnis von zufälligen biografischen Einflüssen wäre, dann basierte dieses Selbst ja auf den gleichen Grundlagen wie die sozialen Konventionen, gegen die es sich stellt. Damit fehlte ihm die legitimierende Autorität, die ihm beispielsweise durch eine göttliche Vorbestimmung zukommen würde. Es würde dann keine Rolle mehr spielen, ob ich mich nach der Intuition meines Selbst oder eher nach den gesellschaftlichen Erwartungen verhalte.
Die VertreterInnen der Auffassung vom Selbst als „Erfahrungskoloss“ würden dem wahrscheinlich sogar zustimmen. Dass darin kein stichhaltiger Einwand gegen ihre Auffassung enthalten sei, versuchten sie dadurch zu verdeutlichen, dass sie eine eigene Erklärung für das Erleben von Handlungskonflikten lieferten, die mit ihrer Auffassung verträglich ist. Dementsprechend muss das biografische Selbst so gedacht werden, dass es ebenfalls eine gewisse Kontinuität und Trägheit entwickelt, die sich in dauerhaften Vorlieben und Überzeugungen niederschlägt. Somit kann es auch vorkommen, dass das biografische Selbst sich in eine Situation versetzt sieht, wo es mit seinen eigenen Vorstellungen in Konflikt zu gesellschaftlichen Erwartungen gerät und wo es die Entscheidung zugunsten tiefer gehegter Überzeugungen als authentisch empfinde. Je nachdem, wie es sich nun entscheide, könne das Selbst jedoch auch eine Entwicklung durchmachen, indem es bisher fremde Vorstellungen übernehme und sich aneigne. Das wurde an einem Beispiel illustriert, bei dem ein Gesprächsteilnehmer ausgehend von seiner kindlichen Faszination für das Militär im Laufe eines längeren Prozesses allmählich davon Abstand nahm, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. Dass dieser Verlauf genau diese Wendung genommen habe, sei jedoch ein in letzter Konsequenz rein zufälliges Ergebnis des Zusammenspiels von äusserlichen Faktoren. Wenn es also in bestimmten Situationen zu Handlungskonflikten komme, so sollte man diese Konflikte nicht mit der Opposition von authentischem Selbst und gesellschaftlichen Konventionen, sondern mit der Opposition von altem, bisherigen Selbst und neuen Interessen und Überzeugungen betrachten. Der Konflikt bestünde somit darin, dass man seine gegenwärtigen Neigungen noch nicht mit seinem bisherigen Selbstbild vereinbaren kann. Dieser inneren Konsistenzanforderung muss dann erst noch entsprochen werden und führt entweder dazu, dass ich auf die unpassenden Handlungsweisen verzichte oder dass sich mein Selbst verändert.
Der Standpunkt des erfahrungsbedingten Selbst schien einiges für sich zu haben, eine gewisse Skepsis konnte jedoch nicht ausgeräumt werden. Sie artikulierte sich in der Frage, ob es zur Erklärung des Wandels dieses biografischen Selbst nicht einer zusätzlichen, davon unabhängigen Instanz bedürfe, die genau für diese Leistung der Konsistenzprüfung und Rollenentscheidung zuständig wäre, damit sich das Selbst überhaupt weiterentwickeln könne. Ansonsten sei es schwierig nachzuvollziehen, wie sich das Selbst von sich aus in eine Richtung verändern könne, die seinem früheren Zustand völlig entgegen gesetzt sei. Bräuchte es daher nicht eine übergeordnete Instanz, die sowohl das biografische als auch das sich im aktuellen Verhalten äussernde Selbst kritisieren kann? Darauf wurde jedoch erwidert, dass es diese zusätzliche Instanz deswegen nicht bräuchte, weil die biografische Erfahrung als äusserer Einfluss ausreiche, um Veränderungen des Selbst und seiner Überzeugungen zu bewirken.
Daraufhin wurde der Versuch unternommen, die bisherigen Selbstkonzepte einmal zu ordnen und mit treffenden Bezeichnungen zu versehen. So wurde zwischen drei Konzepten unterschieden. Zum einen das Modell eines absoluten und gleich bleibenden Selbst, das die Voraussetzung für die übliche Authentizitätsvorstellung ist. Dem gegenüber befindet sich das gesellschaftlich erwartete Rollenverhalten in einem spezifischen Handlungskontext, das in bestimmten Konventionen und allgemeinen Normen besteht, die unabhängig vom Individuum sind. Und quasi dazwischen steht das Konzept eines zwar relativ kontinuierlichen und meine Identität ausmachenden Selbst, das aber nicht absolut und unveränderbar ist, sondern ständig durch Erfahrung und gesellschaftliches Milieu geprägt wird. Der Versuch, das soziale Rollenverhalten mit der Bezeichnung der Persona und das biografische Selbst mit derjenigen des Ego zu fixieren, stiess jedoch auf keine breite Zustimmung. Eine weitere Unterteilung, die sich meines Erachtens ebenfalls anböte, die aber im Rahmen der Diskussion gar nicht angesprochen wurde, wäre zudem die Gegenüberstellung von realem und idealem Selbst(bild), die ja auch zu erlebbaren Spannungen führen kann.
Diese Aufzählung lässt nun verschiedene Varianten zu, wer oder was mit wem in Konflikt gerät. Wobei die soziale Rollenerwartung wohl von allen Anwesenden als ein unbestrittenes Element von Handlungen im gesellschaftlichen Kontext anerkannt wurde. So lässt sich sowohl ein Modell mit allen drei Konzepten denken als auch eines, bei dem entweder das absolute oder das biografische Selbst wegfällt.
Um die Plausibilitäten für eine dieser Varianten herauszustellen, wurde nochmals in die Runde gefragt, ob und inwiefern wir auf die Erfahrung von Authentizität als Grundlage für eine dieser Annahmen rekurrieren können.
Trotz der überzeugenden Ausführungen von Seiten der VertreterInnen eines rein biografischen Selbst wurden einige Statements geäussert, die sich zugunsten der Annahme eines absoluten Selbst aussprachen. Die persönliche Erfahrung scheint die Intuition eines stabilen und unvergänglichen Selbst zumindest zu bestärken. In diesem Zusammenhang wurde auch auf ein spirituelles Erfahrungsmoment hingewiesen, dass das eigentliche Selbst in eine begriffliche Nähe zur Seele brachte, die im theologischen Diskurs ja auch als unvergänglich gedacht wird. Leider kann ich diese Auffassung nicht mehr angemessen wiedergeben.
Ein weiterer Beitrag, der den Blick nochmals auf die Erfahrung der Authentizität richtete, wies auf den besonderen Stellenwert von Gefühlen, insbesondere Schmerzen, hin und brachte damit einen neuen Aspekt in unsere Auffassung von Authentizität. Die Empfindung von Schmerzen erleben wir als etwas sehr Unmittelbares und uns Nahes oder Eigenes. Sofern man von den Schmerzen auf die Gefühle im Allgemeinen schliessen kann, liesse sich daher behaupten, dass uns Gefühle einen Zugang zu unserem Selbst eröffnen, der direkter und unverfälschter ist als bei unseren Überzeugungen oder Wertvorstellungen. Daher könnten Gefühle als Garanten für Authentizität betrachtet werden, wenn wir bei unseren Entscheidungen auf Gefühlswahrnehmungen achten würden. Leider erwies sich der Bezug auf die Gefühle jedoch als äusserst ambivalent. Denn gerade das authentizitätsstiftende Moment, dass man den Gefühlen passiv ausgesetzt ist und man sie daher schlecht kontrollieren, und somit auch nicht bewusst steuern und verfälschen kann, lässt sich auch dahin gehend auslegen, dass Gefühle eigentlich etwas uns Äusserliches sind. Wenn uns ein Gefühl in seiner Intensität übermannt, sprechen wir ja auch davon, dass wir nicht mehr wir selber sind. Es scheint, als könnten Gefühle uns einerseits uns selbst näher bringen und andererseits gerade wieder von uns selbst entfernen. Diese Diskrepanz konnten wir nicht wirklich auflösen, aber es wurde immerhin noch ein produktiver Ausweg daraus aufgezeigt. Dass uns Gefühle Authentizität erleben lassen, könnte man nämlich auch so verstehen, dass sie uns präsent sein lassen. Indem uns beispielsweise Schmerzen von der Vergangenheitserinnerung oder der Zukunftsspekulation in die Gegenwart des erlebten Schmerzes zwingen, führen sie dazu, dass wir auch näher bei uns selbst sind. Damit liesse sich Authentizität alternativ als Erfahrung des Im-Augenblick-Bei-Sich-Selbst-Seins definieren, wobei offen bleiben kann, was das für ein Selbst ist.
Damit schlossen wir die Runde ab.
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