hirnblutung :: die Zehnte :: Gibt es einen freien Willen und wenn ja, wie ist er beschaffen?

Zur ersten Diskussion im neuen Jahr standen drei Fragestellungen zur Auswahl, die alle schon vorweg im Netz (http://hirnblut.elenchos.ch/?p=108) formuliert worden waren. Von den dreien machte der folgende das Rennen, ich zitiere:
„Gibt es einen freien Willen und wenn ja, wie ist er beschaffen?
Die Frage ist eine alte, doch scheint sie an Aktualität kaum eingebüsst zu haben. Die PsychologInnen, NeurowissenschafterInnen und BiologInnen der Gegenwart präsentieren uns fortlaufend neue Studien, die uns unser Verhalten und Wesen erklären – was können wir denn noch selbst entscheiden, wenn so vieles durch unsere Erziehung/unser Umfeld oder unsere Gene bestimmt ist? Auch bei der philosophischen Betrachtung dieser Frage gibt es eine Reihe von Argumenten, die den freien Willen ganz stark anzweifeln. So stellt sich bei einer Entscheidung die Frage wie diese gefällt wird oder wurde. Wenn man dafür eine Ursache ausfindig machen kann, so wäre der Wille nicht mehr frei sondern determiniert, findet man diese nicht, so handelte es sich um Zufall, was wohl kaum besser wäre.
Aus der allfälligen Beantwortung der Frage nach der Freiheit des Willens ergeben sich direkt Folgefragen: Wie weit trägt ein Mensch Verantwortung für sein (böses) Handeln? Was ist Schuld und wer kann sie (in welchem Ausmass) tragen? Inwiefern machen Strafen Sinn und gilt es einen Menschen oder seine Handlung zu bestrafen? Und um ganz dick aufzutragen: Würde die Nichtexistenz es freien Willens nicht jegliche Werte und Ideale relativieren und somit den Menschen dem Nihilismus zum Frass vorwerfen?
Als aktuelles Beispiel für die Diskussion könnte die Verwahrungsinitiative oder die Todesstrafe dienen: Ist es richtig Menschen ein Leben lang oder mit dem Tod für eine Tat zu strafen, für die sie vielleicht gar nichts können?
Die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem freien Willen kann durchaus auch als Grundlage für die Frage nach bösem Handeln dienen. Kann wer unfrei im Willen ist, böse handeln? Oder anders gefragt: Woher kommt der Wille zu bösen Taten?
Es kann sein, dass dies ein bisschen viele Fragen und Themen sind (und so den Rahmen sprengen), doch ich sehe eine starke Verknüpfung zwischen ihnen und glaube, dass die meisten ethischen Fragen ohne die Beantwortung der Frage nach dem freien Willen witzlos sind. Daher gehe ich zudem davon aus, dass selbst Fragen über Alternativkulturen darauf aufbauen und diesen ein solides Fundament bieten kann.“
Die Diskussion wurde durch eine Ergänzung jenes Teilnehmers eröffnet, der die Fragestellung eingebracht hatte. Und zwar bezog er gleich von Beginn klar Position gegen die Annahme, dass wir einen freien Willen haben. Dass es überhaupt zu dieser Annahme kommen konnte, beruhe seiner Meinung nach auf einem Fehlschluss, der von der Handlungsfreiheit (auch „Wahlfreiheit“) auf die Willensfreiheit schliesse bzw. beide gleichsetze. Das sei jedoch ein Irrtum. Denn während man davon ausgehen kann, dass die Handlungsfreiheit, verstanden als Möglichkeit zwischen mindestens zwei Handlungsoptionen wählen zu können, theoretisch immer – selbst in Gefangenschaft – gegeben ist, spreche nichts dafür, dass die Willensfreiheit existiere. Denn da letztlich jede Handlungsentscheidung auf irgendeine Ursache zurück gehe, könne es keine Willensfreiheit geben. (Leider führte er nicht aus und es fragte auch niemand nach, was man unter Willensfreiheit im Unterschied zur Handlungsfreiheit zu verstehen habe. Also, wovon ein Wille frei sein müsse, damit er als solcher betrachtet werden könne.) Der zugrunde liegende Gedankengang ist meines Erachtens nicht schon an sich evident; er scheint aber darauf zu basieren, dass, wo kausale Verursachung stattfindet, sich alle Ereignisse mit der strengen Notwendigkeit des Determinismus aus ihren Ursachen ergeben und es somit keinen Platz für einen freien Willen gibt. Weshalb dem so sein soll, wird hoffentlich im Zusammenhang mit den noch folgenden Ausführungen zum Determinismus deutlich.
Gegen diese Auffassung wurde der Zweifel an einer monokausalen Bestimmung unseres Willens geäussert. Da wir einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt seien, dürfe nicht von einer linearen Determinierung ausgegangen werden. Der Einwand wurde jedoch damit zurück gewiesen, dass er nichts an dem fundamentalen Sachverhalt der kausalen Determinierung des Willens ändern würde. Auch wenn der Wille sowohl durch physische, wie auch durch soziale oder geistige Ursachen beinflusst werde, handle es sich immer um kausale Determinierung. Die Komplexität der Zusammenhänge ändere nichts an der Gesetzmässigkeit ihrer Abläufe. Daher bleibe festzuhalten, dass wir in jeder Hinsicht das Produkt der uns gestaltenden Einflüsse und Erfahrungen sind.
Bevor diese Auseinandersetzung fortgeführt werden konnte, wurde jedoch die Frage nach dem Konzept des Determinismus aufgeworfen. Die gegebene Antwort lautete in etwa, dass alles, was geschieht, aus dem Vorangegangen herzuleiten ist (ich ergänze: weil alle Ereignisse aufgrund von gesetzmässigen Ursache-Wirkungs-Verhältnissen über Kausalketten miteinander verknüpft sind.) Daher impliziert die Annahme des Determinismus, dass man unter der Voraussetzung der Kenntnis sämtlicher Informationen vom Urknall aus jeglichen Zustand des Universums in der Zukunft berechnen können müsste. Zur Ergänzung führe ich hier noch die Definition des Determinismus aus der Wikipedia an: „Er geht davon aus, dass alle Ereignisse nach feststehenden Gesetzen ablaufen und sie durch diese vollständig bestimmt bzw. determiniert seien. Deterministen sind also der Auffassung, dass bei bekannten Naturgesetzen und dem vollständig bekannten Zustand eines Systems der weitere Ablauf aller Ereignisse prinzipiell vorherbestimmt ist und folglich weder ein echter Zufall, noch Wunder bzw. ähnliche nicht-physische Phänomene existieren. Dies kann, muss jedoch nicht, eine Berechenbarkeit des Systems zur Folge haben, was unter anderem dessen Vorhersagbarkeit beeinflusst. Es gibt verschiedene Varianten des Determinismus, die mehr oder minder streng die Vorherbestimmtheit aller Ereignisse voraussetzen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Determinismus, 4. 1. 2008) Gemeinhin geht man davon aus, dass die physikalische Welt von Naturgesetzen determiniert wird. Es scheint jedoch sowohl im Bereich der Mikro- wie auch der Makrophysik, als auch im Geistigen (das ohnehin nicht der Physik angehört) Phänomene zu geben, die sich nach heutigem Erkenntnisstand noch nicht mit Naturgesetzen beschreiben lassen und aufgrund ihrer Unschärfe eher mit Wahrscheinlichkeiten erfasst werden müssen. Gerade der Bereich der kleinteiligen Quantenphysik könnte jedoch für die aktuelle Frage von Relevanz sein, da Quantenphänomene auch im Gehirn stattfinden. Hier stellt sich die Frage, ob es sich dabei um ein noch ungelöstes oder unlösbares Erkenntnisproblem oder um eine tatsächliche (ontologische) Ausnahme vom Determinismus handelt. Dies bedeutet, dass, selbst wenn sich unser Wille als kausal determiniert erweisen würde, das nicht heissen müsse, dass man eines Tages unser Verhalten voraussagen könne.
Nach diesem Klärungsversuch wandten wir uns wieder der eingangs aufgestellten These zu, dass der freie Wille aufgrund der durchgängigen Determinierung aller Ereignisse, inklusive unserer Handlungsentscheide, nicht möglich sei.
Zunächst wurde der Einwand erörtert, ob beispielsweise Kurzschlusshandlungen, bei denen jemand völlig unerwartet handelt, als Beleg für die Willensfreiheit beigezogen werden könnten, da sie die entsprechende Person als unberechenbar erscheinen lassen. Es zeigte sich jedoch, dass es sich dabei um keinen ernstzunehmenden Einwand handelt, da ein solches Verhalten nur im Vergleich zu dem gewohnten Verhalten dieser Person unberechenbar und inkonsistent erscheint. Es lässt sich jedoch dadurch erklären, dass sich bestimmte Persönlichkeitsanteile durchgesetzt haben, die normalerweise unter der Kontrolle einer übergeordneten Instanz bleiben würden. Diese Persönlichkeitsanteile, die im Extremfall auch eine Selbstentfremdung oder Persönlichkeitsspaltung auslösen könnten, folgen aber selber wieder ihren eigenen Gesetzmässigkeiten und sind daher durchaus determiniert.
Ähnlich erging es dem Versuch, Unberechenbarkeit und damit fehlende Determinierung in Rauschzuständen unter Drogeneinfluss ausfindig zu machen. Zum einen widerspricht dies dem geläufigen Verständnis des freien Willens. Der freie Wille wird ja als Grundlage für unser juristisches und moralisches Urteilen genau jenen Menschen zugesprochen, die wir für mündig und zurechnungsfähig halten, wohingegen wir beispielsweise Betrunkene nur noch für vermindert zurechnungsfähig einstufen. Zum anderen hat aber die Determinismusthese nur wenig mit der guten Kenntnis einer Person und ihrer Gewohnheiten zu tun. Wenn wir davon sprechen, dass sich jemand gegenwärtig unberechenbar verhält, dann meinen wir damit, dass sich diese Person auf eine Weise verhält, die aus ihrem bisherigen Verhalten nicht hätte geschlossen werden können. Die Berechenbarkeit des Determinismus ist dadurch aber keineswegs bedroht, zumindest nicht so lange es im Prinzip möglich ist, das unerwartete Verhalten auf kausale Verursachung zurück zu führen.
Dasselbe gilt auch für das Gedankenexperiment, das darin besteht, bewusst etwas anderes zu wollen, als man normalerweise oder „eigentlich“ wollen würde. Auch wenn dies auf der Ebene der bewussten Handlungsmotive so aussieht, als würde man dadurch seine Unabhängigkeit gegenüber den Motiven an den Tag legen, die einen sonst so durch den Alltag steuern, so ergibt dies noch kein schlagkräftiges Argument gegen den Determinismus. Denn dieser kann auch eine solche Entscheidung gegen den eigenen Willen als letztlich durch kausale Ursachen bedingt erklären.
Eine andere Frage war, inwiefern das Ausbrechen aus sozialen Normen als Ausdruck eines freien Willens verstanden werden könnte. Wir alle scheinen im Laufe der Erziehung gewisse gesellschaftliche Normen und Ideale verinnerlicht zu haben und sie quasi zu einer inneren Instanz (einem inneren „Polizisten“) verfestigt zu haben, die unser Handeln steuert und kontrolliert. Daher erleben wir unsere Handlungsweisen und selbst unsere Ziele häufig als äusserlich aufgepfropft und spüren das Bedürfnis, ihnen zu entkommen. Zugleich erleben wir, dass das Ausbrechen aus diesen sozialen Programmierungen unseres Handelns sehr schwer fällt. Wäre der Wille zum Ausbrechen oder wäre das erfolgreiche Ausbrechen als Indiz dafür zu lesen, dass es den freien Willen gibt?
Es scheint, als würde auch diese Frage dem Determinismus-Standpunkt nichts anhaben können. Denn selbst, wenn der Ausbruch aus den sozialen Normen gelingen sollte, würde daraus nicht folgen, dass dies nicht aufgrund einer Verkettung von bestimmten Ursachen und Wirkungen geschehen und somit von Beginn an determiniert gewesen wäre. Vielleicht haben wir es hier also mit zwei unterschiedlichen Auffassungen dessen zu tun, was man mit dem freien Willen meint. Wobei sich hier auch die Frage stellt, ob es sich bei der Sehnsucht, aus den sozialen Normen ausbrechen zu müssen, nicht selbst wieder um eine Norm einer spezifischen Gesellschaft – der modernen – handeln könnte.
Des weiteren wurde die Frage aufgeworfen, wie man sich Entscheidungsprozesse innerhalb des deterministischen Modells vorzustellen habe. Für die VertreterInnen des unfreien Willens schien dies jedoch nicht wirklich ein Problem darzustellen. Konflikte in Entscheidungssituationen würden durch Konflikte unterschiedlicher Kausalursachen zustande kommen, wobei je nach Situation bestimmte Einflüsse überwiegen würden. Selbst wenn man diese Auseinandersetzungen auf der Ebene von mentalen Vorgängen betrachten würde, als Konflikte zwischen verschiedenen Wertmassstäben, würde man letztlich feststellen, dass diese wieder durch andere Massstäbe oder Ursachen determiniert seien, und so fort. In dieser Verkettung gäbe es keinen Moment, wo ein freier Wille dazwischen treten und seine eigenen Massstäbe etablieren könne. In jenen Fällen, wo sich ein Individuum gegen die verinnerlichten Werte seines erzieherischen Milieus richtet, sind es situative Faktoren, die dies verursachen.
Ein starkes Indiz für die Unfreiheit des Willens liefert die Tatsache, dass wir ständig Entscheidungen treffen, ohne sie bewusst zu reflektieren. Sehr viele Handlungen laufen völlig automatisch und ohne Bewusstsein ab. Wir können uns aber einen unbewussten freien Willen nur schwer vorstellen. Andererseits schliesst die Tatsache, dass es automatische Handlungen gibt, den freien Willen noch nicht per se aus.
Dass wir häufig auch Sachzwängen ausgesetzt sind und scheinbar nicht anders handeln konnten, als wir es taten, wurde ebenfalls als mögliches Indiz für die Unfreiheit des Willens angeführt. Meines Erachtens handelt es sich dabei jedoch eher um einen Aspekt bezüglich der Handlungsfreiheit.
Angesichts dieser ziemlich vernichtenden Einschätzung hinsichtlich des freien Willens drängte sich die Frage auf, woher wir die Selbstverständlichkeit nehmen, mit der wir an dessen Existenz glauben. Ein erster Befund hierzu hob die zentrale Stellung dieses Konzepts für unser Rechts- und Moralsystem hervor. Wenn wir Personen Verantwortung und Schuld zuweisen wollen, dann setzt dies voraus, dass sie aus freien Stücken gehandelt haben (können). Insbesondere für unser Rechtsverständnis ist dies eine zentrale Unterscheidung dafür, ob eine Person überhaupt einer Tat beschuldigt werden kann oder nicht. Diese Unterscheidung hängt an der Anerkennung von Mündigkeit respektive Zurechnungsfähigkeit, die beide nichts anderes als einen freien Willen implizieren, und hat einen erheblichen Einfluss auf die Urteilsfindung. Auch unsere Vorstellung des Person-Seins hängt bis zu einem gewissen Grad von der Zuschreibung eines freien Willens ab. Insofern scheint dieses Konzept eine relativ zentrale Vorstellung innerhalb unseres Menschenbildes, unserer Rechtsordnung und unserer Handlungsmodelle einzunehmen, weshalb es eine hohe Plausibilität für sich beansprucht.
Dagegen wurde jedoch eingewandt, dass diese Feststellungen keine stichhaltigen Argumente zugunsten des freien Willens seien, da sie auf einem Irrtum aufbauen könnten. Der einzig konsequente Schluss, der daraus zu ziehen wäre, bestünde darin, dass auch unsere Moralvorstellungen und unser Rechtssystem aufgrund der neueren Erkenntnisse angepasst werden müssten. Dass die bestehende Zuschreibung von Mündigkeit an einem so äusserlichen Kriterium wie dem Alter festgemacht werden müsse, sage ja schon alles über die Vagheit dieser Kategorien.
Als weiteres Argument zugunsten des freien Willens wurde die persönliche Erfahrung genannt. Wir erleben unsere Entschlussfindung als frei. Darauf wurde jedoch erwidert, dass es sich bei der erlebten Freiheit eben nur um Handlungsfreiheit handle, die sich mit dem Determinismus ja problemlos verträgt.
Da sich bisher gegen die Argumentationslinie „Alles, was in der Welt geschieht, geschieht gemäss kausalen Gesetzen.“ (Determinismus) und „Der Determinismus lässt keinen freien Willen zu.“ keine Perspektive zugunsten des freien Willens auftat, wurde eine alternative Bestimmung des freien Willens unternommen.
Zu diesem Zweck wurde zunächst einmal darauf hingewiesen, dass es sinnvoll ist, zwischen der Determinismusfrage und der Frage der Willensfreiheit zu unterscheiden. Dann wurde geltend gemacht, dass der Determinismus selbst nur eine These sei, die keine absolute Gültigkeit für sich beanspruchen könne. Es handelt sich dabei zwar um eine ziemlich plausible These, mit der die empirischen Wissenschaften bisher erfolgreich operieren konnten, aber wie eingangs festgestellt, scheint sie auch nicht in sämtlichen Wissenschaftsgebieten problemlos anwendbar zu sein. (Ich würde sogar behaupten, dass sie in ihrer starken (ontologischen) Fassung, verstanden als Aussage über die Zusammenhänge in der Welt, heute sehr fraglich ist. So weit ich weiss, scheitert die Determinismusthese schon allein bei der Erklärung von Emergenzphänomenen. Nimmt man sie jedoch in ihrer schwachen (epistemologischen) Fassung, verstanden als Aussage über unser Erkennen der Zusammenhänge in der Welt, dann ist sie möglicherweise gar nicht mehr unbedingt eine solche Bedrohung für den freien Willen.)
Da geistige Fähigkeiten und Bewusstsein mit hoher Wahrscheinlichkeit an den biologischen Körper gebunden sind, erhebt der naturwissenschaftliche Determinismus den Anspruch, nicht nur für die Physiologie, sondern auch für die Psyche des Menschen zu gelten. Das wird insbesondere in den Neurowissenschaften deutlich, wo man beispielsweise durch Medikamente Bewusstseinszustände zu verändern versucht.
Der Nachweis, das der Determinismus auch nur eine These ist, ist jedoch noch kein Argument zugunsten des freien Willens, sondern bloss eine allfällige Schwächung des Arguments, dass es ihn nicht geben kann.
Was jedoch mit der Erörterung des Determinismus deutlich wird, ist, welche theoretischen Möglichkeiten wir überhaupt haben, den freien Willen zu denken. Denn neben dem Determinismus, der ein Ereignis als notwendige Folge seiner Ursachen denkt, gibt es nur den Zufall (ob das wirklich so einfach ist, würde ich nicht zu unterschreiben wagen. So scheint es ja auch Wahrscheinlichkeitsphänomene zu geben, die auch nicht ganz dem entsprechen, was wir als bloss zufällig bezeichnen). Das heisst, sofern unser Wille nicht durch eine Kausalkette bedingt wird, wäre er das Resultat des Zufalls. Und gerade darauf läuft es ja hinaus, wenn man nachzuweisen versucht, dass der freie Wille frei von kausalen Verursachungszusammenhängen entscheiden kann. Aber wenn die Freiheit des Willens letztlich auf Zufälligkeit basierte, so widerspräche das ja auch unserer Intuition von Freiheit.
Daher unternahm ich einen an Kant angelehnten Versuch, den freien Willen auf eine Weise zu beschreiben, dass er nicht zufällig zustande kommt und zugleich nicht von äusseren Ursachen bestimmt wird. Dieser Ansatz geht davon aus, dass der freie Wille durchaus innerhalb des Determinismus-Modells gedacht werden müsse. Damit man aber trotzdem von einem freien Willen sprechen könne, müsse die Verursachung so verstanden werden, dass sie eben nicht „äusserlich“, sondern aus ihm selbst hervorgehend stattfinde. Das soll heissen, das „Ich“, das „Selbst“ oder der „Wille“ determiniert sich selbst. Dazu muss man zwei verschiedene Quellen der Verursachung annehmen. Zum einen all jene dem Willen äusserlichen Ursachen, die die GegnerInnen des freien Willens ebenfalls annehmen (Biologisches, Soziales, Psychologisches etc.). Und daneben noch eine weitere, die jene Kausalzusammenhänge irgendwie stören kann, indem sie eine eigene Verursachungskette auslöst. (Dieses „irgendwie“ wirft wahrscheinlich wieder eine Menge neuer Probleme auf, die zu Paradoxien wie der unten angehängten Antinomie der Vernunft führen oder über so merkwürdige Ausnahmebereiche wie die Quantenphysik ein Schlupfloch suchen. Kants eigener Vorschlag klingt nochmals etwas anders. Sehr spannend, aber auch ziemlich anspruchsvoll…)
Da der Wille sich somit selber verursacht, deckt sich dieses Freiheitskonzept auch mit dem Begriff der Autonomie, der ja dem Wortsinn nach als Selbstgesetzgebung und nicht als dem Zufall überlassene Unbestimmtheit zu verstehen ist. Offen bleibt somit jedoch die Frage, wie sich diese zweite Quelle kausaler Verursachung plausibel begründen lässt.
Zunächst einmal schien das vorgeschlagene Konzept den Gegnern des freien Willens wenig einzuleuchten. Eine prinzipielle Schwierigkeit scheint darin zu bestehen, dass es schwer auszumachen ist, wodurch mein Wille letztlich verursacht wurde. Selbst wenn wir uns auf der Ebene psychischer Handlungsmotive bewegen und dort nach Ursachen suchen, ist unklar, ob diese Ursachen nicht auf externe Determinierung zurück gehen. Woran soll die selbstbestimmte Verursachung des Willens von äusserlicher Verursachung zu unterscheiden sein?
Die Antwort darauf lautete – wieder frei nach Kant –, dass sich der freie Wille in Entscheidungen äussert, die durch die Vernunft getroffen wurden. Es müsse sich beim freien Willen also um eine Determinierung durch die Vernunft handeln, die jene durch andere Ursachen aufhebt. Deshalb spreche Kant auch von der praktischen Vernunft, wenn er den freien Willen meine. Zugegebenermassen würde dieser sich selbst bestimmende, moralische Wille nicht ganz jener Idee vom freien Willen entsprechen, die wir mit dem Ausbruch aus der bürgerlichen Konvention verknüpfen.
Von Seiten der GegnerInnen eines freien Willens wurde dieses Modell jedoch stark angezweifelt. Zum einen sei es doch eher so, dass vernünftig getroffene Entscheide letztlich auch nur durch andere, d. h. nicht-vernünftige (arationale) Faktoren verursacht seien. Des weiteren sei der Vernunftbegriff selber keine klar greifbare Angelegenheit, vielmehr ist das Konzept der Vernunft historischem Wandel unterworfen und kulturabhängig oder kommt in gewissen Kulturen gar nicht vor.
Da der Rettungsversuch eines weniger romantischen, da selbst wieder determinierten freien Willens auf wenig Zuspruch stiess, kam die Frage auf, was es denn letztlich für Konsequenzen hätte, wenn die Idee des freien Willens aufzugeben wäre. Da diese Idee ja eine Grundlage für Moral und Rechtssystem darstellt, müsste ihr Wegfallen hier die deutlichsten Spuren hinterlassen. Moralische Verantwortung gäbe es dann nicht mehr. Kann man einem Verbrecher noch bestrafen für etwas, das er ohne freien Willen begangen hat? Auch die GegenerInnen eines freien Willens verneinten dies. Daraus solle man jedoch nicht schliessen, dass das Rechtssystem zusammenbrechen würde. Vielmehr könnte man es neu um jene Kriterien aufbauen, die tatsächlich massgeblich sind. So würde man VerbrecherInnen wohl weiterhin einsperren, jedoch nicht um sie zu bestrafen, sondern um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Das könnte zur Folge haben, dass sich das Justizsystem weniger mit der Symptombekämpfung (Bestrafung) und eher mit der Prävention von Straftaten beschäftigen würde. Wenn man davon ausgeht, dass unser Wille determiniert ist, wird man vermehrt nach den kausalen Zusammenhängen suchen und diese dann frühzeitig dahingehend beeinflussen, dass es gar nicht erst zu Verbrechen kommt. Beispiele für eine solche Sozialtechnik wären Erziehungs- und Bildungsmassnahmen, aber auch die Vermeidung von materieller Not etc. Auch Strafen könnten in einem solchen Präventionsapparat weiterhin ihren Platz haben, indem sie VerbrecherInnen dahingehend konditionieren, zukünftiges Fehlverhalten zu vermeiden. Bei näherer Betrachtung schienen sich die allfälligen Differenzen im Rechtssystem immer mehr zu verflüchtigen. Selbst bei den beiden eingangs angeführten Beispielen der Todesstrafe und der lebenslänglichen Verwahrung wurde es immer fraglicher, ob eine solche Präventionsjustiz tatsächlich auf sie verzichten würde. Im Fall der Todesstrafe liesse sich ja wie bis anhin mit dem Recht auf Rache argumentieren. Das wurde jedoch von den GegnerInnen des freien Willens bestritten, da das Wissen um die Unfreiheit des Handelnden die Rachegefühle der Leidtragenden wahrscheinlich dämpfen würde. Auch im Bereich der Moral müsste man sich überlegen, inwiefern sich der Wegfall der Idee eines freien Willens auf unsere Wertvorstellungen und Handlungsrichtlinien auswirken würde.
Da die Determinismusthese sehr plausibel scheint, wurde die Frage aufgeworfen, ob es für die Klärung der Fragestellung eine Rolle spiele, ob man als Subjekt während der Entscheidungsfindung selber wahrnehmen muss, dass die getroffenen Entscheidungen alle schon vorweg bestimmt bzw. kausal rückführbar sind. Hier wurde die Überlegung ins Spiel gebracht, dass man ja insofern von einem freien Willen sprechen könne, wenn das Subjekt die Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht kenne und daher das Gefühl habe, frei zu handeln. Selbst wenn man die Determinierung rückblickend erkennen könne, behielte man das Gefühl des freien Entscheidens. Für diese Auffassung wurde die Bezeichnung schwacher Determinismus vorgeschlagen, meines Erachtens wäre es jedoch angemessener, hier von einem schwachen Begriff des freien Willens zu sprechen, denn die Geltung des Determinismus wird mit diesem Ansatz nicht im Geringsten eingeschränkt. Die limitierte Innenperspektive des handelnden Subjekts ändert nichts an der Tatsache seiner faktischen Unfreiheit.
Es wäre jedoch sehr fraglich, ob man dann tatsächlich noch seines eigenen Glückes Schmied sein kann, wenn man nicht an den freien Willen glaubt. Wenn die kausale Verursachung nicht mehr dem Subjekt, sondern äusseren Einflüssen zugeschrieben wird, macht es doch wenig Sinn sich selbst als Akteur zu betrachten. Naheliegender wäre doch eine Interpretation, die einen zum interessierten Zuschauer beim Schauspiel des eigenen Lebens machte.
Dagegen kann man jedoch einwenden, dass es wohl zutreffe, dass sich das eigene Leben ohne „eigenes“ Zutun abspiele, dass man aber zugleich nicht darum herum komme, zu glauben, man sei „selber“ für Entscheidungen verantwortlich. Da die kausale Verkettung über das Bewusstsein des Subjekts und seiner Abwägungen hinaus reicht, kann beides unabhängig voneinander betrachtet werden. Es scheint, als würden wir uns in einer Art subjektiver Illusion befinden, die uns auch dann noch erfolgreich unseren freien Willen vorgaukelt, wenn wir es längst besser wissen. Wir scheinen nicht anders zu können, als etwas zu glauben, was wir nach reiflicher Überlegung längst nicht mehr für überzeugend halten. Dieser Sachverhalt wurde auch als existenzialistischer Determinismus bezeichnet, worin zum Ausdruck kommen sollte, dass wir, selbst wenn unser Handeln völlig determiniert ist, nichts dagegen tun können, uns ständig entscheiden zu müssen. Insofern bleibt uns nichts anderes übrig, uns als die Schmiede unseres Glückes zu betrachten. Aber wir sollten uns nichts darüber vormachen, dass die Grundlagen, auf denen wir unsere Entscheidungen treffen, nicht von uns selber abhängen.
Offen blieb dann jedoch die Frage, wie und weshalb es überhaupt zu dieser Zwangsvorstellung des freien Willens gekommen ist. Hier wurde zum einen darauf hingewiesen, dass der Begriff seine Attraktivität ursprünglich dem christlich-theologischen Diskurs verdanke. Diese Feststellung passte auch mit der Beobachtung zusammen, dass die Vorstellung des freien Willens in anderen Kulturen wie beispielsweise der chinesischen nicht vorhanden sei. (Dann fällt es einem jedoch schwer nachzuvollziehen, weshalb wir dieser Illusion nicht entgehen können sollten.) Möglicherweise hat der Begriff auch ganz pragmatische Vorteile mit sich gebracht, im Sinne einer nietzscheanischen Lüge im Dienste des Lebens. Inwiefern spielte hier die Identifikation mit dem eigenen Handeln und damit die Fixierbarkeit eines Verantwortlichen eine Rolle? Fühlen wir uns im Glauben an den freien Willen irgendwie besser oder lässt sich damit ein Staat besser organisieren?
Die Diskussion erörterte noch einige weitere Gesichtspunkte im grösseren Umfeld der Fragestellung. Und auch nach ihrem offiziellen Abschluss blieb der Eindruck zurück, dass damit noch lange nicht alles gesagt sei. Eine Schwierigkeit, die Frage abschliessend diskutieren zu können, bestand wohl nicht zuletzt auch darin, dass die Frage – wie so häufig – etliche andere philosophische Probleme nach sich zog.

Vgl. auch den Wikipediaartikel zum freien Willen: http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille
Ausserdem: Kants dritte Antinomie der Vernunft aus der Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl.

Der Antinomie der reinen Vernunft
dritter Widerstreit der transzendentalen Ideen

Thesis

Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen notwendig.

Beweis

Man nehme an, es gebe keine andere Kausalität, als nach Gesetzen der Natur: so setzt alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen wäre, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen sein würde. Also ist die Kausalität der Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst etwas Geschehenes, welches nach dem Gesetze der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Kausalität, dieser aber eben so einen noch älteren voraussetzt u.s.w. Wenn also alles nach bloßen Gesetzen der Natur geschieht, so gibt es jederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen ersten Anfang, und also überhaupt keine Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der von einander abstammenden Ursachen. Nun besteht aber eben darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Kausalität nur nach Naturgesetzen möglich sei, sich selbst in seiner unbeschränkten Allgemeinheit, und diese kann also nicht als die einzige angenommen werden.
Diesemnach muß eine Kausalität angenommen werden, durch welche etwas geschieht, ohne daß die Ursache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ursache, nach notwendigen Gesetzen bestimmt sei, d.i. eine absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen, mithin transzendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals vollständig ist.

Anmerkung zur dritten Antinomie

I. zur Thesis

Die transzendentale Idee der Freiheit macht zwar bei weitem nicht den ganzen Inhalt des psychologischen Begriffs dieses Namens aus, welcher großen Teils empirisch ist, sondern nur den der absoluten Spontaneität der Handlung, als den eigentlichen Grund der Imputabilität derselben, ist aber dennoch der eigentliche Stein des Anstoßes für die Philosophie, welche unüberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Kausalität einzuräumen. Dasjenige also in der Frage über die Freiheit des Willens, was die spekulative Vernunft von jeher in so große Verlegenheit gesetzt hat, ist eigentlich nur transzendental, und gehet lediglich darauf, ob ein Vermögen angenommen werden müsse, eine Reihe von sukzessiven Dingen oder Zuständen von selbst anzufangen. Wie ein solches möglich sei, ist nicht eben so notwendig, beantworten zu können, da wir uns eben sowohl bei der Kausalität nach Naturgesetzen damit begnügen müssen, a priori zu erkennen, daß eine solche vorausgesetzt werden müsse, ob wir gleich die Möglichkeit, wie durch ein gewisses Dasein das Dasein eines andern gesetzt werde, auf keine Weise begreifen, und uns desfalls lediglich an die Erfahrung halten müssen. Nun haben wir diese Notwendigkeit eines ersten Anfangs einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich in so fern dargetan, als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt erfoderlich ist, indessen daß man alle nachfolgende Zustände für eine Abfolge nach bloßen Naturgesetzen nehmen kann. Weil aber dadurch doch einmal das Vermögen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen, bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen, der Kausalität nach, von selbst anfangen zu lassen, und den Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen, aus Freiheit zu handeln. Man lasse sich aber hiebei nicht durch einen Mißverstand aufhalten: daß, da nämlich eine sukzessive Reihe in der Welt nur einen komparativ ersten Anfang haben kann, indem doch immer ein Zustand der Dinge in der Welt vorhergeht, etwa kein absolut erster Anfang der Reihen während dem Weltlaufe möglich sei. Denn wir reden hier nicht vom absolut ersten Anfange der Zeit nach, sondern der Kausalität nach. Wenn ich jetzt (zum Beispiel) völlig frei, und ohne den notwendig bestimmenden Einfluß der Naturursachen, von meinem Stuhle aufstehe, so fängt in dieser Begebenheit, samt deren natürlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die Fortsetzung einer vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschließung und Tat liegt gar nicht in der Abfolge bloßer Naturwirkungen, und ist nicht eine bloße Fortsetzung derselben, sondern die bestimmenden Naturursachen hören oberhalb derselben, in Ansehung dieser Eräugnis, ganz auf, die zwar auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt, und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung der Kausalität, ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genannt werden muß.
Die Bestätigung von der Bedürfnis der Vernunft, in der Reihe der Naturursachen sich auf einen ersten Anfang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran sehr klar in die Augen: daß (die epikurische Schule ausgenommen) alle Philosophen des Altertums sich gedrungen sahen, zur Erklärung der Weltbewegungen einen ersten Beweger anzunehmen, d.i. eine freihandelnde Ursache, welche diese Reihe von Zuständen zuerst und von selbst anfing. Denn aus bloßer Natur unterfingen sie sich nicht, einen ersten Anfang begreiflich zu machen.

Antithesis

Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.

Beweis

Setzet: es gebe eine Freiheit im transzendentalen Verstande, als eine besondere Art von Kausalität, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen könnten, nämlich ein Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen: so wird nicht allein eine Reihe durch diese Spontaneität, sondern die Bestimmung dieser Spontaneität selbst zur Hervorbringung der Reihe, d.i. die Kausalität, wird schlechthin anfangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei. Es setzt aber ein jeder Anfang zu handeln einen Zustand der noch nicht handelnden Ursache voraus, und ein dynamisch erster Anfang der Handlung einen Zustand, der mit dem vorhergehenden eben derselben Ursache gar keinen Zusammenhang der Kausalität hat, d.i. auf keine Weise daraus erfolgt. Also ist die transzendentale Freiheit dem Kausalgesetze entgegen, und eine solche Verbindung der sukzessiven Zustände wirkender Ursachen, nach welcher keine Einheit der Erfahrung möglich ist, die also auch in keiner Erfahrung angetroffen wird, mithin ein leeres Gedankending.
Wir haben also nichts als Natur, in welcher wir den Zusammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen müssen. Die Freiheit (Unabhängigkeit), von den Gesetzen der Natur, ist zwar eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kann nicht sagen, daß, anstatt der Gesetze der Natur, Gesetze der Freiheit in die Kausalität des Weltlaufs eintreten, weil, wenn diese nach Gesetzen bestimmt wäre, sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anders als Natur wäre. Natur also und transzendentale Freiheit unterscheiden sich wie Gesetzmäßigkeit und Gesetzlosigkeit, davon jene zwar den Verstand mit der Schwierigkeit belästigt, die Abstammung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen immer höher hinauf zu suchen, weil die Kausalität an ihnen jederzeit bedingt ist, aber zur Schadloshaltung durchgängige und gesetzmäßige Einheit der Erfahrung verspricht, da hingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem forschenden Verstande in der Kette der Ursachen Ruhe verheißt, indem sie ihn zu einer unbedingten Kausalität führet, die von selbst zu handeln anhebt, die aber, da sie selbst blind ist, den Leitfaden der Regeln abreißt, an welchem allein eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich ist.

II. Anmerkung zur Antithesis

Der Verteidiger der Allvermögenheit der Natur (transzendentale Physiokratie), im Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit, würde seinen Satz, gegen die vernünftelnden Schlüsse der letzteren, auf folgende Art behaupten. Wenn ihr kein mathematisch Erstes der Zeit nach in der Welt annehmt, so habt ihr auch nicht nötig, ein dynamisch Erstes der Kausalität nach zu suchen. Wer hat euch geheißen, einen schlechthin ersten Zustand der Welt, und mithin einen absoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erscheinungen, zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ruhepunkt verschaffen möget, der unumschränkten Natur Grenzen zu setzen? Da die Substanzen in der Welt jederzeit gewesen sind, wenigstens die Einheit der Erfahrung eine solche Voraussetzung notwendig macht, so hat es keine Schwierigkeit, auch anzunehmen, daß der Wechsel ihrer Zustände, d.i. eine Reihe ihrer Veränderungen, jederzeit gewesen sei, und mithin kein erster Anfang, weder mathematisch, noch dynamisch, gesucht werden dürfe. Die Möglichkeit einer solchen unendlichen Abstammung, ohne ein erstes Glied, in Ansehung dessen alles übrige bloß nachfolgend ist, läßt sich, seiner Möglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr diese Naturrätsel darum wegwerfen wollt, so werdet ihr euch genötigt sehen, viel synthetische Grundbeschaffenheiten zu verwerfen (Grundkräfte), die ihr eben so wenig begreifen könnt, und selbst die Möglichkeit einer Veränderung überhaupt muß euch anstößig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung fändet, daß sie wirklich ist, so würdet ihr niemals a priori ersinnen können, wie eine solche unaufhörliche Folge von Sein und Nichtsein möglich sei.

Wenn auch indessen allenfalls ein transzendentales Vermögen der Freiheit nachgegeben wird, um die Weltveränderungen anzufangen, so würde dieses Vermögen doch wenigstens nur außerhalb der Welt sein müssen (wiewohl es immer eine kühne Anmaßung bleibt, außerhalb dem Inbegriffe aller möglichen Anschauungen, noch einen Gegenstand anzunehmen, der in keiner möglichen Wahrnehmung gegeben werden kann). Allein, in der Welt selbst, den Substanzen ein solches Vermögen beizumessen, kann nimmermehr erlaubt sein, weil alsdenn der Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander notwendig bestimmender Erscheinungen, den man Natur nennt, und mit ihm das Merkmal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterscheidet, größtenteils verschwinden würde. Denn es läßt sich, neben einem solchen gesetzlosen Vermögen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Gesetze der letzteren durch die Einflüsse der ersteren unaufhörlich abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der bloßen Natur regelmäßig und gleichförmig sein würde, dadurch verwirret und unzusammenhängend gemacht wird.

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Ein Kommentar

  1. Ich will noch etwas zur Thematik der Bestrafung beifügen, das ich aus mir nicht ersichtlichen Gründen am Abend selbst nicht eingeworfen habe.
    Die Interpretierung einer Strafe müsste für mich verändert werden.
    Ein bereits vergangenes Ereignis zu bestrafen ist in jeder Hinsicht sinnlos, da die Tat bereits begangen wurde.
    Ich sehe den Sinn der Strafe auch schon heute darin, dass der Mensch nicht für die Strafe bestraft wird, sondern vorgewarnt wird, falls er in Zukunft etwas gleiches machen sollte, oder deterministisch: Um in einer zukünftigen Situation einen grossen Faktor einzuwerfen, der im Summenspiel um das Agieren dagegen spricht die vordeklarierte Untat durchzuziehn. Natürlich wäre eine präventative Orginsation vorzuziehn; dies hier soll lediglich aufzeigen, dass die aktuelle Strafnorm durchaus auch auf deterministischem Boden fussen kann

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